Das Ernährungssystem wandelt sich rasant - das sind die drei Megatrends
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- 16 Februar 2018
„Welche Landwirtschaft wollen wir?“ Darüber wurde in den letzten Wochen, insbesondere rund um die Grüne Woche, viel und heftig diskutiert. Eigentlich sollte die Frage lauten: „Welches Ernährungssytem wollen wir?“ Der Preisdruck, unter dem Bauern hierzulande und weltweit stehen, ist nicht zu verstehen ohne die rasante Restrukturierung der Agrochemie- und der Ernährungswirtschaft.
1.Monopolisierung
Werfen wir einen Blick auf den der Landwirtschaft vorgelagerten Bereich: Drei Konzerne (Deere, CNH, AGCO) liefern inzwischen mehr als 50% der Agrartechnik weltweit. In allen wichtigen Agrarmärkten (von China abgesehen) kontrollieren mit Yara, Agrium, Potash und Mosaic vier große Konzerne den Düngermarkt. Nach der anstehenden Fusionswelle im Saatgut-Pestizidbereich könnten mit Bayer-Monsanto, DuPont-Dow und ChemChina-Syngenta drei Konzerne rund 60% jeweils des kommerziellen Saatgut- und des Pestizidmarkts beherrschen.
Komplexer ist das Bild im nachgelagerten Bereich der Landwirtschaft. Fünf große Rohstoffhändler teilen sich etwa 70% des internationalen Getreidehandels auf. Unter Nahrungsmittelherstellern sind Übernahmen der letzten Jahrzehnte vor allem Ausdruck von Restrukturierung. Abspaltungen und Neuzusammensetzungen von Konzernsparten gehören zusammen. Konzerne wie Nestle und Unilever versuchen sich auf bekannte Trendmarken zu konzentrieren. Eine ungeheure Expansion, mit enormer Marktkonzentration auf einzelnen nationalen Märkten kennzeichnet den Lebensmitteleinzelhandel. Die Konzentration beschränkt sich nicht auf die einzelnen Stufen des Agrar- und Ernährungssystems. Prägend sind die starke Integration und Regulation von Lieferketten.
2.Big Data
Die Koordination von Lieferketten vom Acker bis zur Theke wird wesentlich durch Innovationen in der Logistik ermöglicht: der erste Barcode-Scanner wurde in Lebensmittelmärkten in den USA in den 1970er Jahren eingeführt und fand sich dort im Jahr 1990 in jedem größeren Lebensmittelhandel. Dies ermöglichte eine drastische Ausweitung der eigenen Produktpalette. Computergestützte Inventur und elektronischer Datenaustausch waren die Grundlage dafür, dass große Supermarktkonzerne die Rolle „Türstehers“ zwischen Produzenten und Konsumenten übernahmen. Aktuell wandelt die Digitalisierung den Lebensmitteleinzelhandel. Noch drastischere Auswirkungen aber hat sie im vorgelagerten Bereich: „Genome Editing“ ermöglicht es Konzernen, ganze DNA-Codes von Kulturpflanzen und Tieren im Labor digital umzuschreiben. Bereits 2010 gab es 262 Patentfamilien mit mehr als 1600 Patentschriften, um Gensequenzen als geistiges Eigentum festzuschreiben. Zwei Drittel davon gehörten Monsanto, DuPont und BASF. Big Data revolutioniert ebenso die Agrartechnik: Digitale Farmmanagement-Systeme ermöglichen es, live, während der Bearbeitung Daten über Bodenqualität, optimale Aussaat etc. hochzuladen. Damit eröffnet sich ein völlig neuer Markt und eine Zusammenarbeit in der digitalen Datenübertragung zwischen Agrochemie und Agrartechnikkonzernen.
3.Finanzialisierung
Der dritte große Trend besteht in der zunehmend dominierenden Rolle des Finanzkapitals im Ernährungssystem. Am Chicago Board of Trade stieg der Anteil der reinen Spekulation am Terminhandel mit Getreide von 12% Mitte der 1990er Jahre auf schätzungsweise 70% heute. Die großen Rohstoffhändler wie Cargill nutzen ihr Wissen über erwartete Ernten, Wetterdaten und Währungsschwankungen nicht nur für das eigene „Risk Hedging“ sondern sind längst zu bedeutenden Anbietern von Finanzdienstleistungen geworden. Große Fondsgesellschaften wie die DWS der Deutschen Bank managen eine Reihe von Agrarfonds. Insbesondere seit der Finanzkrise 2008 investieren Fonds auch zunehmend in Land. Doch auch die Ernährungswirtschaft selbst ist in erheblichem Maße finanzialisiert und ihre Konzentration wird von Finanzfonds vorangetrieben. Drei Megafusionen im Jahr 2015 umfassten insgesamt ein Volumen von sagenhaften 347 Milliarden US Dollar. Zwei dieser drei Megafusionen, die Übernahme im Brauereisektor von SAB Miller durch AB Inbev und der Zusammenschluss von Heinz und Kraft, wurde von der Investmentgesellschaft 3G-Capital vorangetrieben, unter der Maßgabe drastischer Rationalisierungsziele. Die Inbev-SABMiller Fusion kostete 5500 Arbeitsplätze, mit der Kraft-Heinz Fusion wurde jede fünfte der 41 Standorte in den USA und Kanada geschlossen.
Sozial-ökologischer Umbau des Ernährungssystems
Konzentration, Big Data, Finanzialisierung – wenig deutet darauf hin, dass sich diese Megatrends auf die schwächsten Akteure im Ernährungssystem, ArbeiterInnen und BäuerInnen, positiv auswirken. Im Gegenteil, seit den 1980er Jahren ist insbesondere in der Agrarproduktion und der nahrungsmittelverarbeitenden Industrie eine verstärkte Prekarisierung festzustellen, und die Kluft zwischen einer sehr kleinen Zahl kapitalstarker Agrarbetriebe in diesen Lieferketten und der Mehrheit von Produzenten, für die solche Sprünge finanziell und logistisch nicht machbar sind, wächst rasant. Dringend notwendig ist eine verstärkte Debatte in der Linken, wie ein Umbau der Agrar- und Ernährungswirtschaft aussehen kann, der im Interesse der bäuerlichen Produzenten und der Arbeiter entlang der Lieferkette stattfindet.