EU-Agrarpolitik braucht Perspektivwechsel
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- 11 Juni 2018
von Dr. Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Am 1. Juni 2018 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2020 veröffentlicht. Das war der Startschuss für die kommenden Trilog - Verhandlungen mit dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten.
Leider wird der Vorschlag aus Sicht der LINKEN den Herausforderungen nicht gerecht. Er lindert im besten Fall Symptome ohne die lebensbedrohliche Erkrankung zu behandelt.
An ihrem proklamierten Ziele der Stabilisierung landwirtschaftlicher Einkommen ist sie gescheitert. Das EU-Agrarmodell mit seiner strategischen Orientierung auf eine anonyme Warenproduktion für einen Weltagrarmarkt mit sozialen und ökologischen Dumpingbedingungen hat die Landwirtschaft auf die Rolle eines billigen Rohstofflieferanten für die Verarbeitungs- und Handelskonzerne degradiert auf Kosten von Mensch und Natur. Statt die ortsansässige, nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft zu stärken sind landwirtschaftsfremde Investorinnen und Investoren als größte Profiteure sowohl einer versagenden Bodenpolitik als auch der EU-Subventionen auf dem Vormarsch. Das beschleunigt den Verlust an Arbeitsplätzen und biologischer Vielfalt. Insekten verschwinden. Dorf, Landwirtschaft und Verbraucherinnen und Verbraucher werden einander entfremdet.
Das ist die verheerende Bilanz der bisherigen EU-Agrarpolitik, die zu einem Perspektivenwechsel zwingt: Landwirtschaft muss sich am Gemeinwohl orientieren und wieder über ihre Versorgungsfunktion für nachhaltig erzeugte Lebensmittel und Erneuerbare Energien definiert werden. Gleichzeitig muss gesichert werden, dass man auch dann von landwirtschaftlicher Arbeit leben kann, wenn man mit Respekt für Mensch und Natur produziert. Dazu braucht es sowohl klare rechtliche Rahmenbedingungen, die auch Augenhöhe zwischen Landwirtschaft und Verarbeitungs- sowie Handelskonzernen herstellen, als auch eine EU-Agrarförderpolitik, die zur Stabilisierung ortsansässiger Landwirtschaftsbetriebe beiträgt. Dabei will DIE LINKE, dass nicht nur der Schutz unserer natürlichen Lebensbedingungen gefördert wird, sondern auch soziale Leistungen, z. B. Arbeitsplätze, von denen man leben kann. Nach diesem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ ist das Geschäftsmodell der Investorenlandwirtschaft nach Auffassung der LINKEN sowohl vom Bodenerwerb als auch von der Agrarförderung auszuschließen.
Unter dieser Voraussetzung der Bindung der Agrarförderung an Gemeinwohlleistungen und der Ausschluss der Agrarholdings ist die Förderung nach Betriebsgröße nicht gerechtfertigt, sondern gefährdet z. B. originär ostdeutsche Agrarbetriebe unnötig, auch wenn durch die Anrechnung von Arbeitsplätzen die Folgen geringerer (ab 60.000 Euro) bzw. gedeckelter (ab 100.000 Euro) Fördergelder im Vorschlag der EU-Kommission relativiert werden sollen.
Den Fokus verstärkt auf Umwelt- und Klimamaßnahmen zu richten, so wie von der EU-Kommission propagiert, wäre ein Schritt in die richtige Richtung, wenn gesichert ist, dass hochwertige Strukturen wie Pufferstreifen, Hecken, Brachen und Kleingewässer unterstützt werden sowie eine naturnähere Bewirtschaftung der Flächen, zum Beispiel für mehr Insektenschutz oder die Minimierung von Pflanzenschutzmaßnahmen, die die biologische Vielfalt gefährden.
Der Vorschlag sieht vor, dass die Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der nationalen Ausgestaltung bekommen. In sogenannten „Strategieplänen“ sollen sie ihre Ziele und die dafür notwendigen Kontrollmechanismen auflisten, die die Kommission dann bewilligt.
Für DIE LINKE ist klar, der Paradigmenwechsel in der EU-Subventionspolitik schließt auch die Stärkung der regionalen Verarbeitung und Vermarktung ein, die Wertschöpfung in die ländlichen Räume bringt und damit gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zu lebendigen Dörfern ist. Ortsansässige Landwirtinnen und Landwirte sind unsere wichtigsten Partnerinnen und Partner für die notwendigen Veränderungen und müssen von ihrer Arbeit leben können. Gleichzeitig müssen sie aber auch ihre Beschäftigen fair bezahlen und wichtige am Gemeinwohl orientierte Investitionen tätigen (siehe dazu Pressemitteilung Kirsten Tackmann vom 1. Juni 2018). Die Fraktion DIE LINKE hat dazu am 8. Juni das Positionspapier „Für eine gemeinwohlorientierte Agrarpolitik ab 2020 in den ländlichen Räumen“ veröffentlicht, um wichtige Akzente in der aktuellen Debatte zu setzen. Wir fordern darin unter anderem eine Aufnahme von Sozialkriterien, um die sozialen Leistungen von Agrarbetrieben angemessen zu honorieren. Sozialversicherungspflichtige Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie mitarbeitende Familienangehörige gehören für uns ebenso dazu wie der erleichterte Einstieg von Frauen und Junglandwirt*innen in die Landwirtschaft. Selbstverständlich spielen auch die Umwelt- und Klimakriterien eine wichtige Rolle, denn Landwirtschaft trägt sowohl zu Klimawandel, Arten- und Lebensraumverlust bei, ist aber gleichzeitig Betroffene dieser Entwicklung. Landwirtschaftsfremde Investorinnen und Investoren wollen wir vom Landkauf sowie von den EU-Subventionen ausschließen, denn Boden ist keine handelbare Ware. Auch vor der internationalen Verantwortung dürfen wir uns nicht weiter drücken. Die EU ist hinter China der zweitwichtigste Eiweißimporteuer weltweit und deckt derzeit rund 70 Prozent des Eiweißfuttermittelbedarfs durch Importe ab. Die hohe Nachfrage insbesondere nach Soja führt zu fatalen ökologischen und sozialen Folgen in Ländern des Globalen Südens. Wir werden die anstehenden Verhandlungen kritisch verfolgen und immer wieder LINKE Vorschläge in die Diskussion einbringen.