Mit einem Bürgerrat die Klimapolitik vorantreiben?
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- 12 Oktober 2020
- von Dominik Fette
Am 21. Juni 2020 verabschiedete der französische Klima-Bürgerrat seine Empfehlungen. 150 ausgeloste Bürgerrinnen und Bürger kamen an sieben Wochenenden im Laufe von neun Monate für diesen Convention Citoyenne pour le Climat (also wörtlich: Bürgerkonvent für das Klima) zusammen. Der Sprachendienst des Bundestages hat nun im Auftrag von Abgeordneten der Linksfraktion die Empfehlungen übersetzt (> 82 Seiten, 763 kB).
In der zweiseitigen Einleitung wird über Zusammenstellung, Arbeit und Erfahrungen des Bürgerrates berichtet. So heißt es dort: „Wir haben gelernt, anderen Meinungen aufgeschlossener und toleranter zu begegnen und unsere Vielfalt zu achten. Angesichts unserer unterschiedlichen Auffassungen, Lebensweisen, kulturellen und sozialen Hintergründe war eine Einigung nicht immer leicht. Für uns war der Konvent daher eine Lektion in gelebter Demokratie und Teilhabe. Wir hatten die Möglichkeit, intensiv, mit Überzeugung und Freude und angesichts der Klimasituation mit einem Gefühl der Dringlichkeit an unseren gemeinsamen Vorschlägen zu arbeiten.“ (S. 4).
Ziel der 149 Vorschläge, die am Ende eine Mehrheit im Bürgerrat erhielten, ist es, die Treibhausgasemissionen in Frankreich bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Angesichts der Vielfalt der Menschen im Bürgerrat könnte man denken, dass hier nur kleine Schritte im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners vorgeschlagen wurden. Doch weit gefehlt: Die Vorschläge gehen oft weit über das hinaus, was wir uns z.B. von der schwarz-roten Bundesregierung oder der Kohlekommission vorstellen können.
Die geringste Zustimmung fand die Herabsetzung des Tempolimits auf Autobahnen von 130 auf 110 km/h – aber immerhin noch 60%. Meist lag die Zustimmung bei über 90%. Ein paar der Verschläge sind unten aufgelistet.
Eindrücke von der Arbeit des Bürgerrates vermittelt der Film von Mehr Demokratie e.V. (Bild: Frank Amann, Produktion: Crossendfilm), in dem auch internationale Bürgerrats-Fachleute und zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort kommen:
Weitere Eindrücke in einem Arte-Beitrag vom 7.3 2020.
Es muss sich noch zeigen, wie die Vorschläge in der Nationalversammlung debattiert, ggf. abgeändert und verabschiedet werden und ob zu drei Vorschlägen (2 Änderungen der Verfassungen) tatsächlich Referenden abgehalten werden. Die Regierung hat bereits angekündigt, einiges per Dekret umzusetzen. Und aus dem Bürgerrat heraus gab es die Idee, einen Verein zur Überwachung der Umsetzung zu gründen. Die Empfehlungen sind auf jeden Fall ein starker Anstoß für eine breite Debatte und sollten den Politiker*innen Mut machen, die bisher vor radikaleren Maßnahmen zurückschrecken, weil sie die Abstrafung durch die Wähler*innen fürchteten.
In Deutschland hat die Debatte über Bürgerräte gerade Fahrt aufgenommen: Im letzten Jahr gab es den ersten bundesweiten rein zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrat zum Thema Demokratie. Die Ergebnisse wurden am 15.11. 2019 an Bundestagspräsident Schäuble sowie die Fraktionen übergeben. Am 19. Juni 2020 hat der Ältestenrat des Bundestages einen Bürgerrat zum Thema „Die Rolle Deutschlands in der Welt“ beschlossen (> Info vom BT; > Info von Mehr Demokratie inkl. Video eines Online-Seminars dazu). Der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ hat Bürgerräte in einem öffentlichen Fachgespräch am 6. Oktober zum Thema gemacht. Gesammelte Infos auch zu Bürgerräten und Initiativen auf lokaler und regionaler Ebene finden sich unter buergerrat.de/ und hier Aufzeichnungen einer Online-Seminarreihe, das Seminar zum Klima-Bürgerrat hier.
Es besteht die Hoffnung, dass mit Bürgerräten Lösungen für akute Krisen besser und vor allem konsensorientierter erarbeitet werden, als dies derzeit im Bundestag möglich ist. Dies wäre auch ein Beitrag, um der zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft entgegen zu wirken. Gleichzeitig ist wichtig, dass die Empfehlungen von Bürgerräten noch durch Parlamente oder Volksentscheide legitimiert werden. Sie sind daher eine gute Ergänzung, aber keine Alternative zur repräsentativen Demokratie.
Auswahl aus den Vorschlägen des französischen Klima-Bürgerrates:
- Einführung eines effektiven und wirksamen Verbots von Werbung für besonders klimaschädliche Produkte auf allen Werbeträgern
- Einführung von Hinweisen, die zur Einschränkung des Konsums anregen
- Durchsetzung des Gesetzes über das Verbot der geplanten Obsoleszenz sowie Verpflichtung, dass in Frankreich verkaufte Fertigerzeugnisse reparierbar (1) und Originalersatzteile für einen bestimmten Zeitraum verfügbar sind (2). Einrichtung gut erreichbarer Reparaturunternehmen und -werkstätten sowie Verpflichtung zur Erreichbarkeit von Kundendiensten (3)
- CO2-Ausgleich an den EU-Grenzen (gemessen am ökologischen Fußabdruck) und Berücksichtigung von Umverteilungsfragen, um zu vermeiden, dass dies zu Lasten der wirtschaftlich schwächeren Haushalte erfolgt
- Verbot des Baus neuer Flughäfen und der Erweiterung bestehender Flughäfen
- Verpflichtung von Hausbesitzern zur Wärmedämmung
- Verbot jeglicher Form der Flächenneuinanspruchnahme, sofern im bestehenden Siedlungsgebiet Sanierungsmaßnahmen möglich sind oder Gewerbe- oder Industrieflächen brachliegen
- Unterstützung der Beschlagnahmung leerstehender Wohn- und Bürogebäude
- Umstellung von 50% der Landwirtschaftsbetriebe auf agrarökologische Verfahren bis 2040
- Ersuchen der französischen Regierung, für eine Reform der Handelspolitik in Europa einzutreten: Verankerung des Vorsorgeprinzips in den Handelsabkommen, Aufnahme der Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen als verbindliche Zielsetzung, Abschaffung der privaten Schiedsgerichte, Sicherung der Transparenz und Gewährleistung einer demokratischen Kontrolle der Handelsgespräche. (speziell auch CETA und WTO)