„Sogar wenn wir vorwärts gehen, gehen wir zurück“
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- 6 Dezember 2012
- von Eva Bulling-Schröter
In diesem Jahr habe ich mir lange überlegt, ob ich zur Klimakonferenz fahren soll. Die Aussicht auf zumindest kleine Erfolge ist schlecht. In Deutschland streiten die beiden Regierungsparteien, ob wir uns in der EU dafür einsetzen, gegenüber 190 endlich von 20 auf 30 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020 zu gehen. Das Kohleland Polen blockiert hier in Brüssel, aber auch die FDP, die entsprechende Änderungen an der EU-Emissionshandelsrichtlinie ablehnt. Deutschland wird dadurch in dieser Frage vom Vorreiter, der es mal war, zum Bremser.
Nun gut, es gibt keine Alternative zum Verhandlungsprozess, also lande ich am Dienstag um 22:30 Uhr Ortszeit (die Zeitverschiebung beträgt zwei Stunden). Nach dem Hotel einchecken geht’s ab ins Bett, ich muss um 5:30 Uhr wieder aufstehen.
Um 7:30 Uhr ist dann morgendliche Treffen der deutschen Delegation. Hier berichten die einzelnen VerhandlerInnen über den Stand der Dinge. Wie wir hören, sind die Verhandlungstexte "ministerreif". Das bedeutet, nicht mehr die Fachebene der Ministerien, sondern die Minister der Staaten setzen sich damit auseinandersetzen und versuchen einen Konsens herbeizuführen.
Noch nicht klar ist, was mit den überschüssigen Kyoto-Treibhausgas-Zertifikaten passiert. Bis jetzt gibt es auch noch keine Einigung darüber, ob Länder, die einem Nachfolge-Kyoto-Protokoll nicht beitreten wollen, jene aufgelaufenen Emissionsrechte nutzen und gegebenenfalls zu Geld machen dürfen, die aus dieser Periode stammen. Auch um die Frage der Klimafinanzierung wird heiß diskutiert.
Nach der Frührunde haben wir ein Treffen mit den VertreterInnen der indigenen Völker, sie kommen aus dem Tschad, aus Ecuador, Kenia und Surinam. Sie erzählen, dass sie kaum mit der Erwärmung umgehen können. "Es wird immer heißer. Der Klimawandel raubt uns unsere Rechte auf unseren traditionellen Lebensstil!" Sie fordern einen eigenen Etat im Anpassungsfonds, um Einzelmaßnahmen für die indigenen Völker bezahlen zu können. Sie außerdem bedauern sehr, dass nicht aus allen betroffenen Ländern Indigene an der Konferenz teilnehmen konnten und bitten hier um Unterstützung.
Danach haben wir ein Treffen mit der stellvertretenden Umweltministerin Kolumbiens, Adriana Soto. Sie berichtet u.a. über Probleme des Landes, die den Goldabbau betreffen. Wälder in Naturschutzgebieten nahe des Amazonas seien betroffen, auch das Grundwasser. Der Druck der Investoren sei jedoch enorm. Im Amazonas gebe es aber schon genug HotSpots an gerodetem Wald, die für Rinderfarmen oder zum Palmölanbau genutzt werden.
Anschließend findet ein Treffen mit den deutschen NGO's statt, die ihre Sicht auf die Verhandlungen darstellen. Sie erwarten eine Vorreiterrolle Deutschlands und Europas. Sie erwarten hier vor allem, dass die EU sich endlich zu mindestens 30 Prozent Minderung verpflichtet, und dafür überschüssigen Zertifikate aus dem EU-Emissionshandel stilllegt. Sie stellen die Frage, wie sich bei weiterem Zögern jene Länder verhalten werden, die im Vorfeld von Doha auf die EU gesetzt haben. Werden sie sich abwenden?
Nach den Gesprächen mit den Organisationen aus der Heimat treffen wir uns mit Umweltminister Rosa Chavez aus El Salvador. Sein Eindruck ist: Sogar wenn wir vorwärts gehen, gehen wir zurück. Denn das Tempo der Erderwärmung sei schneller als die Minni-Fortschritte bei den Klimaverhandlungen.
El Salvador hat große Schäden infolge des Klimawandels zu bewältigen, es muss eine Mio. Hektar Land wiederherstellen. Dazu werden 1000 Dollar pro Hektar und Jahr benötigt. Die Summe soll über fünf Jahre investiert werden. El Salvador hat in den letzten zwei Jahren bereits 15 Mio. Dollar in Klimabeobachtungssysteme investiert. Rosa Chavez bemerkt dazu lakonisch: "Wir wissen zwar jetzt, wann der Regen kommt, wie viel und wo. Aber deshalb haben wir noch lange kein Geld, um weggeschwemmte Brücken zu erneuern." Die Frage sei, „wird es schlechter oder apokalyptisch?"
Danach begeben wir uns zu einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des italienischen Umweltausschusses und drei Senatoren. Sie schildern uns, dass Italien sich nicht in der Lage sieht, in den UN-Klimafonds einzuzahlen. Sie stünden vor der Frage, wie sie in der jetzigen Lage, da sie selbst Geld aus dem Stabilisierungsfonds der EU erhalten, die geforderten Summen aufbringen können. Im übrigen seien auch in ihrem Land Anpassungsmaßnahmen notwendig. Die Italiener interessierten sich sehr für den deutschen Atomausstieg sowie für den Ausbau und die Finanzierung regenerativer Energien.
Das letzte Treffen des Tages findet auf Einladung von „Brot für die Welt“ statt. Dort gibt es ausführliche Gespräche mit Klimazeugen aus Bangladesch, Indien und anderen betroffenen Ländern. Dieses Treffen, das klar macht, wie sich der Klimawandel konkret auf die Menschen des globalen Südens auswirken, ist für mich eindrucksvoll und motivierend.