Erster Verhandlungsentwurf und Umweltprojekte in Durban
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- 6 Dezember 2011
- von Eva Bulling-Schröter
Durban-Tagebuch Eva Bulling-Schröter
Montag, den 5. Dezember 2011
Die Delegationsbesprechung findet heute früh um 7:45 Uhr im Kongresszentrum statt. Das Büro der deutschen Delegation liegt in einer Tiefgarage.
Die einzelnen Referate berichten kurz den Sachstand der Verhandlungen. Es gebe bereits einen Verhandlungstext, der Entscheidungsoptionen für fast alle relevanten Themen beinhalte, erklärt eine Vertreterin des Umweltministeriums. Ohne hier ins Detail zu gehen: Es geht darin offensichtlich um die Weiterführung der umstrittenen Marktmechanismen, aber auch um die Systeme der Klimabeobachtung, um die Einbeziehung von Schiffsemissionen sowie um die Behandlung von Nicht-CO2-Gasen, wie HFCKW. Ferner soll es um die Einbeziehung der Abscheidung und unterirdischen Verklappung von CO2 (CCS) als internationale Klimaschutzinvestition gehen (die Einbeziehung wäre fatal!) und um die Ausgestaltung von REDDplus, einem geplanten Mechanismus zum Schutz der Tropenwälder. Letzterer ist wegen seiner Missbrauchsmöglichkeiten nicht weniger umstritten, als der berühmt-berüchtigte Clean Development Mechamism (CDM).
Eine große Frage ist nach wie vor der globale Klimafonds. Wie wird er eingeführt, welche Rechtsform wird er haben (unter dem Dach der UN, eigenständig oder gar privat organisiert?), und wann und von wem bekommt der Fonds das Geld? Wie sieht die Langfristfinanzierung bis 2020 aus, wo doch die Kurzfristfinanzierung schon hinkt?
Es scheint sich von Konferenz zu Konferenz alles im Kreis zu drehen. Nur die Fachleute können erkennen, ob in Details so etwas wie Fortschritt zu Stande kommt, oder eben nicht. Von einem umfassenden Abkommen mit ambitionierten Minderungszielen sind wir ohnehin noch Lichtjahre entfernt, das dürfte klar sein.
Die USA pocht in den Verhandlungen unter der Konvention weiter auf „Symmetrie“ mit den Entwicklungs- und Schwellenländern, erfahre ich noch. Zu deutsch, nur wenn sich der globale Süden in ein Abkommen mit verbindlichen Minderungspflichten einbinden lässt, sind auch die Vereinigten Staaten dazu bereit. Ich denke, das lassen sich Entwicklungs- und Schwellenländer nicht gefallen. Schließlich hat China jetzt einen Pro-Kopf-Ausstoß von 6,7 Tonnen, die USA dagegen von rund 20 Tonnen, Deutschland von knapp 9 Tonnen. China wird je Einwohner auch erst 2020 den Ausstoß von Großbritannien erreichen.
Die Zahlen des Tages: Für einen Dollar, der bis 2020 nicht in Klimaschutz investiert wird, sind später 4,20 Dollar zu bezahlen, rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) vor. Wirtschaftlich schießt sich also die USA ins Knie. Wahrscheinlich rechnet Washington damit, dass die Schäden größtenteils woanders anfallen, denke ich. Wenn sich die Falken dort nicht irren … Gleichwohl werden riesige Umweltveränderungen natürlich die ärmsten Staaten am härtesten treffen. Dieses Pokergeschäft grenzt deshalb an einen zynischen Krieg gegen den globalen Süden.
Nach der Delegationsbesprechung hören wir einen Vortrag vom Chef des Umweltbundesamtes (UBA), Jochen Flasbarth. Er spricht zum Thema „low carbon strategie of germany“ im Europa-Pavillon. Er referiert u.a. über die Einspeisevergütung für erneuerbare Energien, wie in Deutschland dadurch Arbeitsplätze entstehen, und über die gesellschaftlichen Kosten und Auswirkungen des Klimawandels.
Dann hören wir einen Vortrag von Prof. Harald Annegard von der Uni Johannesburg. Er befasst sich mit Projekten regenerativer Energien, genauer mit der Energieforschung und -entwicklung, etwa durch energiesparende Öfen. Da in Südafrika in den Häusern vielfach noch offenes Feuer zum Heizen gemacht wird, gibt es nicht nur viele Emissionen. Es passieren oft auch Unfälle. Sein Projekt ist zukunftsfähig. Nicht nur weil die vielen, eigentlich vermeidbaren Unfälle menschliches Leid bedeuten, sondern auch weil die Kosten für Notfalldienste sehr hoch sind und gesellschaftlich getragen werden müssen.
Prof. Harald Annegard stellt uns zudem eine nachhaltige Bauweise von Häusern vor. Es handelt sich um ein Projekt der südafrikanischen Regierung. Es wurden Häuser für 2.000 Familien gebaut, in denen zirka 8.000 Menschen ihr zu Hause finden. Ein Vorzug: Die Gebäude spenden von der Bauweise her mehr Schatten als üblich und sind damit kühler.
Der Wissenschaftler spricht sich für eine umfassende Bürgerbeteiligung und Information aus, weil dadurch die Bedürfnisse der Bevölkerung besser erkannt werden. Gleichzeitig werden Neuerungen gut angenommen, wie z.B. der neue Ofen, der rund 50 Prozent an Heizstoffen einsparen wird. Klimaschutz von unten ist sein Motto, weil damit viel Geld eingespart kann und die Effektivität gesteigert werden kann.
Er berichtet uns auch von den Stromtarifen in Südafrika. 50 kWh pro Haushalt sind kostenlos und danach gibt es noch zwei Stufen - die Dritte ist die teuerste. 50 kWh sind natürlich zu wenig, so dass sich viele Haushalte den Strom nicht leisten können. Deshalb werden ständig Leitungen illegal angezapft. Auch hier zeigt sich: Energiearmut ist eine soziale Frage, die sozial gelöst werden muss.
Anschließend fahren wir zu dem CDM-Projekt "Landfill Gas to Electricity“, das Methangas in Strom umwandelt. Es handelt sich um Gas, das ständig durch Vergärung innerhalb einer Mülldeponie entsteht. Geht es in die Atmosphäre, trägt es 21-mal stärker zum Klimawandel bei, als die selbe Menge Kohledioxid.
Die Müllkippe direkt neben einem Slum wird bereits seit 1994 genutzt und soll 2014 geschlossen werden. Weitere rund zehn Jahre danach soll sie noch Strom produzieren. Die neuen Anlagen wurden 2003 durch den Prototype Carbon Fund (PCF) der Weltbank finanziert. Es war das zweite CDM-Projekt in Afrika überhaupt, 11 Millionen Rand wurden investiert. Das Vorhaben erhält von der UNO für die eingesparten Klimagase Zertifikate über 20.000 Tonen CO2-Äquivalent pro Monat. Bei gegenwärtigen Zertifikatspreisen würde das zwischen 1 und 1,5 Millionen Euro im Jahr einspielen, rechne ich aus. Ein gutes Geschäft, denn die Verstromung des Methans zu deutlich weniger schädlichem CO2 bringt ja zusätzliche Einnahmen.
Dass die Klimakiller aufgefangen und genutzt werden, ist eine gute Sache. Ich hoffe nur, das Vorhaben kam tatsächlich zusätzlich zu einer Entwicklung ohne CDM zu Stande. Denn die Zertifikate wandern ja alle in die Industriestaaten. In dem Fall an die über den PCF indirekt beteiligten Länder Holland, Kanada, Finnland, Deutschland (RWE), Japan, Norwegen, Großbritannien, Frankreich und Schweden. Dort werden sie genutzt, um Minderungsverpflichtungen von Staaten unter dem Kyoto-Protokoll oder von Firmen im anlagenbezogenen Europäischen Emissionshandelssystem abzurechnen. Im besten Fall haben wir es hier also mit einem Null-Summen-Spiel im Klimaschutz zu tun. Denn was in Durban zusätzlich eingespart wird, darf etwa bei RWE im Rheinland oder im Straßenverkehr der Niederlande über die Verpflichtungen hinaus zusätzlich ausgestoßen werden. Wäre also die Anlage sowieso auch ohne CDM gebaut worden, so hätten wir mit dem CDM-Projekt weniger Klimaschutz als ohne dieses Instrument – so vertrackt sind die Mechanismen. Und so oft werden sie auch von findigen Investoren missbraucht. Das haben zahlreiche Studien und NGO-Berichte ergeben, darum mein grundsätzliches Misstrauen.
Ob es im konkreten Fall der Deponiegasanlage in Durban auch so ist, kann ich nicht sagen. Wenn ich wieder in Berlin bin, werde ich dem aber nachgehen.
Abends treffen wir mit VertreterInnen des panafrikanischen Parlaments zusammen, auf Einladung der Böll-Stiftung und des deutschen Botschafters Herrn Freitag. Alle Vertreter waren sich einig, dass es ein Kyoto-Folge-Abkommen geben muss, weil gerade Afrika am meisten vom Klimawandel betroffen ist. Sie setzen große Erwartungen auf die EU, und auch speziell auf Deutschland.
Danach falle ich hundemüde ins Bett.