Übergabe des Nutztiergutachtens - 400 Seiten voller Defizite

Mittwoch, der 25.03.2015, der Geruch von Freiheit liegt im doppeltumzäunten Grau des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL). Am Eingang gibt es grüne Schlüsselbändchen an der Sicherheitskarte. Ein Zeichen? Meine Redaktionskollegen sagen mir, dass ich keinen Krimi schreiben soll. Schließlich werden Bemühungen angestellt bei der Nutztierhaltung über weniger Leichen zu gehen... Doch nun zum Thema:

Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) übergibt ein Pamphlet mit dem Titel „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“, das zu Veränderungen aufruft an die Bundesregierung im Anzug des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Bleser.

 

Das knapp 400 Seiten starke Gutachten weist daraufhin, dass es in der Nutztierhaltung wesentliche Defizite in den Bereichen Tier- und Umweltschutz gibt, denen sich die Branche in Zusammenarbeit mit der Politik widmen muss und gibt Empfehlungen, wie dies zu realisieren sei. Dabei werden sowohl Änderungen der Haltungsbedingungen wie Abwechslungsmöglichkeiten bei Klima, Bodenbelägen und Aktivitätsanreizen, als auch besseres Monitoring, veränderte Zuchtziele und die Beendigung von nicht kurativen Eingriffen. Beim rechtlichen Rahmen seien dabei Bund und Länder ebenso wie die EU gefordert.

Zu Beginn der Diskussion des Gutachtens hat der WBA selbst ein paar Punkte hervorgehoben. Zum einen der übliche wissenschaftliche Fingerzeig zur Versachlichung der Debatte, danach wurde sich jedoch sehr deutlich positioniert: "Tierschutz muss deutlich stärkerer Bestandteil der Agrarpolitik und der Förderung werden" hieß es da von Prof. Dr. Harald Grethe, dem Beiratsvorsitzenden. Zudem wurde gefordert die erarbeiteten Tierschutzlabels, wie die des Tierschutzbundes, zusammenzuführen und bundesweit gültig zu machen, sowie eine Enquête-Kommission im Deutschen Bundestag zu errichten, die sich überparteilich und über eine Legislatur hinaus für die Zukunft der Nutztierhaltung einsetzt. Den letzten Vorschlag begrüßte Priesmeier im Namen der SPD in der anschließenden Diskussionen ausdrücklich.

Mit Bernhard Kühnle (BMEL), Heike Harstick (Verband der Fleischwirtschaft), Bernhard Krüsken (DBV) und Thomas Schröder (Dt. Tierschutzbund) bot man ein breites Spektrum an Kommentatoren am Podium auf, die zum Gutachten Stellung nahmen.

Kühnle betonte die vollkommene Unterstützung bezüglich des Abschaffens nicht kurativer Eingriffe, erwähnte aber, dass ihm der Bereich Tierhygiene und die möglichen Folgewirkungen daraus entstehender Tierseuchen zu kurz kämen.

Harstick beschwerte sich über den Aufruf zu geringerem Fleischkonsum und versuchte mit der Anzweiflung der neutralen wissenschaftliche Analyse das Gutachten zu entkräften. Sie sagte, das Gutachten sei thematisch überfrachtet, die Tierwohlforderungen und die Konsumentenverantwortung seien richtig, aber die gesellschaftliche Akzeptanz sei unwissenschaftlich dargestellt, da die Nachfrage nach Fleisch ja hoch sei.

Krüsken betonte, dass die Nutztierhaltung nicht, wie im Gutachten bezeichnet, "erhebliche Defizite" aufweise und hob die Tierwohlbemühungen der letzten Jahre aus der Landwirtschaft selbst heraus hervor. Desweiteren zweifelte er die volkswirtschaftliche Rechnung sowie die Zahlungsbereitschaft der Konsument_innen an. Man sei auf einem guten Weg, wolle aber eine "schrittweise Optimierung statt ordnungsrechtliche Brechtstange". Das Tierwohlmonitoring befürwortete er.

Schröder hob hervor, dass Tierschutz ohne gesetzliche Änderungen nicht möglich sei, lobte die In-Pflicht-Nahme des Handels und warnte vor der Verschiebung der Systemfrage der Haltung zugunsten züchterischer Maßnahme (wie bei männl. Eintagsküken, siehe auch die Rede von MdB Dr. Kirsten Tackmann). Zum Schluss betonte er, dass es nicht mehr an der Zeit sei, darüber zu diskutieren, ob man Tierschutz umsetzt, sonder nur noch wie.

In der anschließenden offenen Diskussionen meldeten sich die Vertreter von DLG, Rinder- und Geflügelhaltung und wiesen auf die vergangenen Fortschritte und unrealistische Kosteneinschätzung hin. Bei der Rinderzucht wurde die Frage aufgeworfen, wie man die Forderung der Außenklimahaltung mit der Zoonosengefahr vereinbaren wolle.

MdB Friedrich Ostendorff (Bündnis ´90 / Die Grünen) lobte die wissenschaftliche Unterfütterung von Forderungen, die er und DIE LINKE lange schon forderten. Die linke agrarpolitische Sprecherin, Dr. Kirsten Tackmann, sagte im Nachgang der Veranstaltung zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung: "Es geht mir allerdings nicht nur um die gesellschaftliche Akzeptanz. Es geht vor allem um Lebewesen und es muss auch um die Arbeitsbedingungen sowie die Qualifikation der Menschen gehen, die Nutztiere betreuen. Die Verbesserungen werden Geld kosten. Das muss aber auch durch Gewinnverzicht im Lebensmitteleinzelhandel und der Schlacht- und Verarbeitungsindustrie bezahlt werden."

Am 22. April 2015 tagt der Agrarausschuss zu diesem Thema und wird erste Anzeichen geben, welche Konsequenzen aus den drastischen Forderungen seitens der Fachwissenschaftler gezogen werden. DIE LINKE verfolgt das weiter kritisch und schlägt eine Anhörung dazu vor.

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