Cancún-Blog von Eva Bulling-Schröter

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Die LINKE Abgeordnete berichtet aus Guatemala-Stadt und von der UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún.

 

Freitag, 11. Dezember, der letzte Tag der Konferenz

Heute ist der entscheidende Tag. Wird es einen verbindlichen Beschluss des Plenums geben? Und wenn ja, in welcher Qualität? Oder sind die 16.000 Delegierten umsonst angereist, wie letztes Jahr? Noch ist alles offen. In den Papieren der Arbeitgruppen stehen auch noch jede Menge Klammern.

Vormittags treffen wir deutschen Abgeordneten uns erst einmal mit der "Comisión Nacional de Áreas Naturales Protegidas", der Naturschutzbehörde Mexikos. Sie betreut 26 Millionen Hektar Schutzflächen, teilweise grenzüberschreitendes Gebiet. Es geht um den nachhaltigen Schutz von Bergen, Wäldern, Wasser und sonstige Flächen. Dabei wird auch mit den Nachbarstaaten Guatemala, Belize und Panama zusammengearbeitet. Der Maya-Wald ist der zweitgrößte Wald in Amerika nach dem Amazonas. Die Mexikaner erzählen, es gebe dort Pilotprojekte zur Herstellung von Waren, die im Wald entstehen, ihn nicht schädigen, aber das Überleben der Menschen sichern. Der Wald könne also zukunftsfähig bewirtschaftet werden, wen man es richtig anstellt. Sie sprechen auch über Waldmanagement, vor allem in Beziehung zum Brandschutz, und machen noch einmal den Stellenwert dieses Gebietes und den Wert seines Schutzes klar. Entwicklungsminister Niebel hat übrigens gerade Mittel über acht Millionen Euro für das Projekt Selva Maja genehmigt, immerhin etwas.

Anschließend treffen wir uns mit Abgeordneten des Parlaments aus Bangladesch. Bangladesch gehört zu den verwundbarsten der Länder, die akut vom Klimawandel betroffen sind. Das liegt sowohl an der Anzahl der Menschen und an der Geographie, als auch an der furchtbaren Armut. Die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. In der Realität wurden in Bangladesch schon Millionen von der Küste umgesiedelt. In dieser Region gibt es also bereits Klimaflüchtlinge, auch die Versalzung schreitet weiter voran.

Cancun_045i_-_BangladeshDie Abgeordneten erzählen uns, wenn der Meeresspiegel aufgrund des Klimawandels um ein Meter steigt, seien damit 18 Prozent der Bevölkerung des Landes betroffen – das bedeute 30 Millionen Umweltflüchtlinge. Und das stelle sich eben auch als Sicherheitsfrage für die Region. Sie bitten uns um Unterstützung in der EU, und darum, die Klimaschutzziele so zu formulieren, dass der Meeresspiegel nicht um einen Meter ansteigt. Die Parlamentarier regen zudem eine deutsch- bangladeschische Kooperation an, die sich auch auf regenerative Energien beziehen soll. Rund 60 Prozent der Menschen vor Ort haben keinen Stromzugang. Das Land will in den nächsten drei Jahren zehn Prozent regenerative Energien etablieren. Zurzeit wird hier mit Kapazitäten von nur 4.500 MW Strom produziert. Ziel ist es, diese in den nächsten Jahren auf 10.000 MW auszubauen.

Die Verhandlungen auf Ministerebene ziehen sich bis in den frühen Morgen hin. Überraschend einigt sich eine übergroße Mehrheit über die vorgelegten Texte. Selbst die Blockierer USA und Japan sind eingebunden, auch Kontrahent China. Allein Bolivien versucht immer wieder Änderungsanträge einzubringen. Es heißt, das lateinamerikanische Land hätte sich dadurch selbst bei Freunden isoliert.

Am Ende verabschieden alle Staaten außer Bolivien das Dokument. Welchen Status es hat, ist darum unklar. Denn Patricia Espinosa, die Außenministerin Mexikos und Präsidentin des Gipfels, nimmt die heftigen Proteste Boliviens lediglich zur Kenntnis. Das "Cancún-Agreement" wird von ihr quasi durchgewinkt, die Neinstimme nicht beachtet. Wegen dem geltenden Einstimmigkeitsprinzip bei der UN dürfte dadurch eigentlich gar kein förmlicher Beschluss gefallen sein. "Das ist ein Anschlag auf die Regeln der Vereinten Nationen", erklärt dann auch sofort Boliviens Botschafter Solón. Das Land wolle sich "an alle internationalen Gremien" wenden, um den Beschluss zu bekämpfen.

Die Verabschiedung – welchen Status sie jetzt auch immer hat -  sehen viele Umweltverbände als Fortschritt. Es ist jetzt etwas mehr festgezurrt als durch Kopenhagen. Unter anderem so etwas wie ein Fahrplan für die nächste Klimakonferenz in Südafrika, und Texte, die besser verhandlungsfähig sind, als jene, die es bislang gab. Wenigstens die Grundrisse für die Architektur eines künftigen Abkommens sind nun erkennbar. Das aber schon alles. Wenn Cancún ein Fortschritt ist, dann nur ein bescheidener.

Mexikaner_CancnDass das Ergebnis auch von manchen Umweltschützern bejubelt wird, kann auf keinen Fall an der Substanz des Erreichten liegen - es ist nur besser ausgefallen als von vielen erwartet. Ausschlaggebend für die positive Grundstimmung sind wohl eher die drastisch herunter geschraubten Erwartungen im Vorfeld. Man ist schlicht froh, dass sich überhaupt etwas bewegt hat. Schließlich ragt bei Lichte gesehen die Vereinbarung wenig über den schwachen Copenhagen-Accord vom letzten Jahr hinaus: Konkrete Beschlüsse zu Minderungszielen wurden auch in Cancún einmal mehr vertagt. Das Zwei-Grad-Ziel wurde zwar verankert. Doch das Erreichen dieses Ziels ist durch die vorliegenden Zusagen nicht annähernd gedeckt. Zudem ist weiterhin unklar, welche Industrieländer Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im globalen Süden in welcher Höhe bezahlen. Man konnte sich nicht einmal abschließend auf Finanzierungsinstrumente zum globalen Waldschutz einigen. Dafür wurde die unsinnige CO2-Verpressung (CCS) als vermeintliches Klimaschutzinstrument etabliert. Und ob die USA tatsächlich ernsthaft zum internationalen Klimaschutz zurückgekehrt sind, wird sich erst zeigen, wenn ersichtlich ist, welche nationalen Treibhausgas-Reduktionsziele das Land in die vereinbarte Liste einträgt. Ansonsten hat der – gemessen an Pro-Kopf-Emissionen - größte Klimasünder der Welt die Verhandlungen in Mexiko blockiert wo immer es ging.

Verglichen mit den Herausforderungen des Klimawandels muss man unter dem Strich nüchtern bilanzieren: Cancún hat ein weiteres Jahr Schonzeit für Kohle und Öl gebracht. Das ein weiteres verlorenenes Jahr im Kampf gegen die Erderwärmung. Dies lag auch an der Weigerung der EU, Europas Minderungsziel bis 2020 gegenüber 1990 bedingungslos von minus 20 auf minus 30 Prozent zu verschärfen. Hier wurde Vertrauen verspielt. Die Bundesregierung muss nun endlich in der EU darauf drängen, dass dieses 30-Prozent-Marke verabschiedet wird. Nur durch eine Vorreiterrolle können die Verhandlungen im nächsten Jahr in Südafrika zu tatsächlichen Fortschritten führen.

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Eine erste übersichtliche Zusammenstellung der Beschlüsse finden Sie bei den Klimarettern.

 

Lesen Sie auch die Presseerklärungen von Eva Bulling-Schröter (LINKE) zu den Verhandlungen in Cancún:

Cancún: Nur Kopenhagen-plus statt neues Kyoto (PE vom 11. Dezember)

Konsequenter Klimaschutz mehr als ein Akt internationaler Solidarität (PE vom 9. Dezember)

Obama gibt vor und Niebel vollzieht
(PE vom 8. Dezember)

Cancún - Schlupflöcher statt Lösungen (PE vom 7. Dezember)

Klimaschutz sieht anders aus (PE vom 29. November)


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Donnerstag, 9. Dezember 2010

Sieben Uhr, Delegationsbesprechung. Es gibt eher keine Bewegung, nun soll in kleineren Gruppen weiterverhandelt werden.

Anschließend treffen wir den Umweltminister von Guatemala, Barcelo Ferrate. Er hat schon einige Angriffe hinter sich und wurde dabei auch verletzt. Wir sprechen über Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie über die heikle Situation in Guatemala.

Cancun_032Schnell kommen wir auf den Punkt. Im Tropenwaldgebiet des Peten befinden sich nicht nur die berühmten Tempel von Tikal sowie - versteckt und verstreut - andere rund 2000 archäologisch wertvolle Objekte, die zu den ältesten der Maja-Kultur gehören. Ausgerechnet in einem Naturschutzgebiet wird auch Öl vermutet. Viel Öl. Es muss also drum gehen, das Öl im Boden zu lassen und den Wald mit seiner großen Vielfalt zu erhalten. Hier könnte statt der Ölförderung Ökotourismus entstehen, der zugleich archäologischen Projekte fördert. Denn ein Großteil der überwucherten Ruinen wurde bislang nur kartiert, aber nicht ausgegraben oder gar konserviert. Die die Natur könnte dabei weitgehend unangetastet bleiben. Es würden neue Möglichkeiten für die Bevölkerung geschaffen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu braucht es aber Geld.

Umweltminister Ferrate sagt: „Wir können der Welt die Maja-Kultur anbieten und alle Investitionen, die getätigt werden, kommen dieser Kultur zu Gute. Ich rede nicht über ein Projekt, sondern über einen Prozess, um Menschen das Überleben zu sichern - bei einer Ölförderung würde die Maja-Kultur zerstört.“ In Bezug auf die Klimaverhandlungen meint er, Cancun sei nur ein Transit zur nächsten Konferenz. „In der Zwischenzeit muss mein Land mit den Toten leben, die aufgrund des Klimawandels umkommen“. Guatemala wird häufig von Wirbelstürmen und einhergehenden Überschwemmungen heimgesucht. Er spricht von Armut und Klimawandel und erwartet von der EU, dass sie sich aktiv am Prozess beteiligt, um „endlich die Völker zusammenzubinden".

Ich bin ganz begeistert. Er ist überzeugend und eine charismatische Persönlichkeit. Ein Politiker mit Herz und großem Wissen. Mehr von dieser Sorte PolitikerInnen braucht nicht nur sein Land!

Cancun_034Später treffen wir aus der brasilianischen Delegation den Abgeordneten Mendes Thane und die Senatorin Szlizarenko. Brasilien tritt, wie die meisten Entwicklungsstaaten für ein weiteres Kyoto-Protokoll ein. Die beiden weisen darauf hin, dass durch eine gute Forstwirtschaft der CO2-Ausstoß drastisch vermindert werden kann. Die Abholzungen im Land seien momentan reduziert und Brasilien strebe ein CO2-Reduktionsziel von minus 39 Prozent bis 2020 auf Basis 1990 an.

Beim Thema Agro-Ethanol erfahren wir, dass Brasilien fünf Prozent der Weltnachfrage produziert. Ich sehe die Entwicklung sehr kritisch, weil durch die sich ausdehnenden Zuckerohrplantagen für die Treibstoffproduktion Kleinbauern und Rinderherden in den Regelwaldgürtel verdrängt werden, was oft zum Kahlschlag führt. Ich äußere auch, dass im Rahmen europäischer Gesetze der Umsatz - und damit die Nachfrage - von Agrosprit weiter steigen soll. Das funktioniert wie ein Staubsauger. Nur das ist nicht die Lösung der Probleme, die mit unserem umweltschädlichen Mobilitätswahn zusammenhängen. Ich habe die Befürchtung, dafür wird weiterer Regenwald abgeholzt werden.

Danach gibt Umweltminister Röttgen eine Pressekonferenz. Es geht um einen von Deutschland 2009 gegründeten globalen Fonds für Klimaschutzmaßnahmen. Dieser hat das Ziel, privates Kapital zu mobilisieren. Röttgen meldet erfreut, die dänische Regierung wolle sich nun mit rund fünf Millionen Euro an der Risikotranche des Fonds beteiligen. Er wirbt nachdrücklich für private Investitionen, schätzt die Anlagerisiken aber als hoch ein. Die Risiken sollen nach seinen Vorstellungen mit öffentlichen Mitteln der KfW abgefedert werden. Ist das tatsächlich ein Hebel für Klimaschutzinvestitionen. Oder läuft das etwa wieder darauf hinaus: Gewinne privat, Risiken vergesellschaftet?

Auf die Frage eines Journalisten, ob der Fonds Profite erwarte, wurde dann auch mit ja geantwortet. Die Gewinne sollten die Investoren aber sofort wieder in Klimaschutzprojekte investieren. Doch wer will sie dazu zwingen? Die Zinsen würden die handelsüblichen sein und damit "wettbewerbsfähig", wird noch erläutert. Auf die Frage, ob es Investoren gebe, von denen der Fonds kein Geld nehme, antwortet Minister Röttgen mit nein. Ich glaube er braucht Nachhilfe in Fragen ethischer Geldanlage.

Cancun_035Dann haben wir ein Treffen mit Vertretern von IPACC, dem Indigenous Peoples of Africa Co-ordinating Committee. Wir sprechen mit einem Senator aus Borundi und einer Frau aus dem Tschad, die kommunal aktiv ist. Sie beschwert sich, dass NGO`s nicht an den Verhandlungen teilnehmen können und indigene Völker in Cancún keine Lobby hätten. Weiter erzählt sie, dass die Weltbank zwar Geld für Projekte gegeben habe, aber die Vereinbarungen darüber nur mit der Regierung getroffen wurden. Naturschutzgebiete würden ausgewiesen, ohne die Menschen vor Ort mit einzubeziehen.

In diesem Jahr stieg im Tschad die Temperatur zum ersten Mal auf 50 Grad. Viele Menschen und Tiere seien aufgrund der Hitze und des Wassermangels gestorben, berichtet die Aktivistin. Sie sei sehr enttäuscht über die Länder, die ihre Probleme ignorierten. Bei den Klimaverhandlungen gehe es nur um Wirtschaft und nicht um die Menschen. Sie wünsche sich, dass die Verhandler zwei Monate im Tschad leben müssten, „bei 50 Grad und dann zwei Kilometer Fußmarsch zur nächsten Wasserstelle“. Dann würden andere Verhandlungsergebnisse erzielt werden - das, so die Frau, sollten wir den Unterhändlern im Konferenzgebäude sagen. Zur Zerstörung des Regenwalds sagt sie: „Der Wald ist unser Supermarkt. Stellt euch vor, der ist bei euch für einige Wochen geschlossen, dann haben die Menschen auch nichts mehr zu essen.“ Wir vereinbaren, uns bei der nächsten Klimakonferenz in Durban, Südafrika, wieder zu treffen. Dann wollen wir ein Meeting mit VertreterInnen der indigenen Völker organisieren.

Cancun_037Dieses Treffen war für mich mit eines der beeindruckendsten dieser Tage, auch für die Kollegen. Es wird immer klarer, dass der Klimawandel kein Bild der Zukunft ist, sondern für viele Region der Welt das Hier und Heute. Er verursacht schon lange Opfer, auch wenn sich mancherorts die Menschen fragen, woher die Wetterveränderungen eigentlich kommen. Hilfe ist heute notwendig, nicht erst in einigen Jahren. Der Spruch "Act now!" wird immer dringlicher.

Anschließend gibt  Umweltminister Röttgen erneut eine Pressekonferenz. Diesmal möchte er zu bedenken geben, dass es im Klimaprozess rechtliche Verbindlichkeiten und verbindliche Minderungsziele brauche. Er stellt den Stand der Verhandlungen sehr wortreich dar. In Wirklichkeit gibt es kaum Fortschritte - aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Abends dann ein Treffen mit deutschen NGO`s. Viele sind gekommen, von NABU über BUND, Greenpeace, Germanwatch, bis hin zu Brot für die Welt, um nur einige zu nennen. Wir sind uns relativ einig, dass Deutschland inzwischen beim Klimaschutz im Mittelfeld spielt, nicht mehr vorne. Und das Update der EU auf ein bedingungsloses 30-Prozent-Minderungsziel bei Treibhausgasen bis 2020 gegenüber 1990 hätte vor Cancun kommen müssen. Jetzt immer noch auf 20 Prozent zu sitzen, ist ein schwerer Fehler.

Wir reden über den Stand der Verhandlungen, über Schlupflöcher bei CDM, insbesondere über die Anrechnung von CCS im CDM. Wir diskutieren, dass wir uns in Deutschland wesentlich mehr und öffentlicher mit den Klimaskeptikern auseinandersetzen müssen. Es geht ferner darum, ob in Deutschland nicht eine Strategiedebatte brauchen, wie wir in Zukunft mit Klimakonferenzen umgehen müssen und wie wir vor Ort mehr bewegen können. Am Ende vereinbaren wir ein Treffen mit den KollegInnen des Umweltausschusses im Frühjahr, um die wichtige Diskussion weiterzuführen.


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Mittwoch, den 8. Dezember 2010

Der Tag beginnt mit der täglichen Frühbesprechung der deutschen Delegation um sieben Uhr. Die VerhandlerInnen des BMU berichten und Umweltminister Röttgen sagt: "Wir sind noch weit vom Zwei-Grad-Ziel entfernt, ein Scheitern wird den UNO-Prozess in eine Krise führen". Wo er recht hat, hat er recht.Nach wie vor seien die Details der Finanzierung des Klimafonds für die Länder des Südens nicht geklärt, erklären die ExpertInnen des Ministeriums. Eigentlich sollten die Zahlen längst festgeklopft sein. Unklar sei vor allem die Langfristfinanzierung. Weitere offene Fragen in den Arbeitsgruppen seien momentan: Wie berechne ich ein Minderungsziel? Wie berichte ich über die Emissionsentwicklung? Für das alles gibt es natürlich seit Jahren eingespielte Systeme, etwa die Berichterstattung der Industrieländer an die UN im Rahmen des Kyoto-Protokolls. Zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und Industriestaaten gibt es jetzt aber unterschiedliche Auffassungen darüber, wie tief man sich in die Karten gucken lassen will. Es geht also um politische Fragen, die als technische daherkommen.

Bei den Verhandlungen um den Waldschutz - hier soll es ja angeblich zu einem Durchbruch kommen - fehlen offensichtlich immer noch wichtige Texte. So sei noch unklar, ob und inwieweit die Landwirtschaft angerechnet werden soll. Seit Tagen gibt es zudem eine Debatte darüber, die Abscheidung und Verpressung von Kohledioxid (CCS) in den CDM- Mechanismus zu integrieren. Das halte ich für sehr gefährlich, es würde dem Klimaschutz eher schaden, als nützen.

Cancun_003iDie VerhandlerInnen berichten dann weiter von Diskussionen darüber, welche Vereinbarungen in ein verlängertes Kyoto-Protokoll (das bislang nur die Industrieländer bindet) integriert werden könnten, und welche in die Klimarahmenkonvention, die auch die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer umfasst.

Nach der Frühbesprechung, bei der wir Abgeordnete eher Gäste sind, geht’s ab mit dem Bus zum Tagungsgelände. Unsere Abgeordneten-Delegation plant zunächst ihre nächsten Termine und mit wem sie von den anderen Delegationen Kontakt aufnehmen will.

Beim Mittagessen mit den Kollegen Abgeordneten beklagt Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, dass Japan definitiv keine weiteren Kyoto-Verpflichtungen will (es geht sogar das Gerücht, die japanische Delegation sei bereits abgereist). Zudem macht er uns auf mögliche Schlupflöcher bei Regelungen zu Wäldern im Kyoto-Protokoll aufmerksam, die unbedingt geschlossen werden müssten.

Cancun_009iAnschließend treffen wir uns mit dem Umweltminister von El Salvador, Herman Rosa Chavez. Er bringt sehr sympathisch rüber, dass es neue Koalitionen der Entwicklungsländer gibt, und zwar zwischen den durch den Klimawandel verwundbarsten Staaten in Mittel- und Südamerika. Auch die Philippinen und Indonesien schließen sich ihnen an, erzählt der Minister. Er sagt uns, El Salvador sei zuversichtlich, dass es bei der Finanzierung globaler Fonds eine Lösungen geben wird. In diese Töpfe sollen Industriestaaten einzahlen, das Geld ist für Anpassung an den Klimawandel, Technologietransfer und Waldschutz im Süden vorgesehen. Mit einer "Unterzeichnungszeremonie" wurde in Cancun immerhin schon der Sitz des Anpassungsfonds förmlich beschlossen. Es ist Bonn.

El Salvador hält ein Mitspracherecht bei der Führung und Ausgestaltung der Fonds für gerechtfertigt. Verständlich, denn der Norden hat ja den Klimawandel verursacht, der Süden muss ihn ausbaden. Herman Rosa schildert uns in diesem Zusammenhang, dass sich in seinem Land in Folge des Klimawandels der Niederschlag von ehemals 1813 mm im Jahr auf 2540 mm erhöht hat. Das verursacht hohe Kosten, z.B. eine veränderte Bauweise bei Brücken und andere Anpassungsmaßnahmen. In El Salvador sei die Temperatur zudem doppelt so schnell gestiegen, als Klimaforscher vor Jahren prognostizierten. Die waren von einem Plus von 0,7 Grad ausgegangen. In Wirklichkeit hat sich in Zentralamerika die Temperatur schon um 1,5 Grad erhöht.

Cancun_015iNach dem Gespräch beginnt das so genannte „High-Level Segment“, d.h., die nun angereisten Minister reden und verhandeln, nicht mehr allein die Fachebene. Die deutsche Delegation begleitet Umweltminister Röttgen zu seiner Rede. Er drängt darin die teilnehmenden Staaten zum Handeln und argumentiert, sie sollten den Kampf gegen den Klimawandel als Wachstumschance begreifen. "In Deutschland hat in den letzten Jahren ein Umdenken begonnen", so Röttgen zu den Delegierten. "In Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sehen wir den Klimawandel nicht länger als Bedrohung an, sondern als Chance und Herausforderung." Naja, dann hätte allerdings das gerade verabschiedete Energiekonzept etwas anders aussehen müssen. Zudem hätte Deutschland in der EU darauf drängen müssen, dass sich Europa endlich bedingungslos zu einem Minderungsziel von minus 30 Prozent gegenüber 1990 bekennt. Die EU ist aber mit minus 20 Prozent ins Rennen gegangen. Das schafft wenig Vertrauen.

Danach fahren wir zur Messe, dort sind die NGO`s untergebracht, ziemlich weit draußen. Im Übrigen habe ich erfahren, dass nur 30 NGO Vertreter an der Konferenz teilnehmen dürfen  - 30 für die ganze Welt.

Als wir zurück kommen, nehmen wir an einem so genannten Side Event teil. Darunter versteht man thematische Veranstaltungen, die nicht zu den eigentlichen Verhandlungen gehören. Umweltminister Röttgen ist unter anderem da, die stellvertretende  Umweltministerin Südafrikas Edna Molewa, der Milliardär George Soros , Carlos Castano, der Vize-Umweltminister Kolumbiens, sowie Lykke Friis, die dänischen Umweltministerin.

Bei der Diskussion geht es um regenerative Energien, Klimaschutzziele, welche Strategien Südafrika hat, wie der REDD-Mechanismus zum Waldschutz effektiv ausgestaltet werden kann oder wie ein Technologietransfer von Nord nach Süd zu befördern ist.

Cancun_026iDanach treffe ich noch Akira Kasai, einen Abgeordneten aus Japan. Er gehört der dortigen kommunistischen Partei an und erklärte mir, dass es unbedingt ein neues Kyoto-Abkommen geben müsse, dafür treten die Kommunisten ein - im Gegensatz zur japanischen Regierung. Dies seien sie auch Japan schuldig, das Kyoto-Protokoll dürfe auf keinen Fall beerdigt werden (also sind doch nicht alle japanischen Abgeordneten abgereist …).

Anschließend nehmen wir eine Einladung von Brot für die Welt war. Eine der beeindrucktesten Veranstaltungen. Wir lernen Menschen kennen, die direkt vom Klimawandel betroffen sind. Eine Frau kommt von einer Insel in der Nähe Papua Neuginea und berichtet, dass die Insel bald überschwemmt sein wird, 1400 Menschen warten auf die Umsiedlung. Zwei Familien wurden bereits umgesiedelt, für die anderen ist jedoch kein Geld da. Sie haben Angst, dass die Wellen immer höher schlagen, bevor sie gerettet werden.

Ein weiterer Diskutant erzählt von den Fidji-Inseln, wo er schon aktiv an Anpassungsmaßnahmen arbeitet. Am Tisch sitzen auch Vertreter der indigener Völker. So ein Maja aus Guatemala sowie ein Vertreter einer sozialen Organisation, die sich für Gesundheit und Aufklärung einsetzt. Nach ihren Berichten wollen sie wissen, wie denn Europa zu den Reduktionszielen steht und ob Hilfe von Europa zu erwarten sei, und vor allem wann.

Es ist für mich ein bewegendes Erlebnis, mit Menschen zu reden, die farbig schildern, dass es bei ihnen bereits fünf nach zwölf ist. Mit Menschen, die endlich wissen wollen, wo denn die Verantwortung der Industrieländer bleibt. Und die in Frage stellen, ob dieses System überhaupt ein Überleben sichern kann.

Cancun_029iIrgendwie schäme ich mich, dass ich ihre Fragen nach Hilfe so schlecht beantworten konnte. Es sind eigentlich Fragen, die die jeweiligen Regierungskoalitionen und die Wirtschaft der Industriestaaten zu beantworten hätten. Mir fällt es  auch schwer, ihre Hoffnungen zu teilen, die sie in die Verhandlungen setzen. Zumal die Industrieländer sie vertrösten oder ganz aus der Verantwortung aussteigen, wie zurzeit die USA und Japan.

Einig waren wir uns allerdings, dass es neue Initiativen und Solidarität von unten braucht, und das das herrschende Profitsystem nicht in der Lage sein wird, die Probleme zu lösen, um ein Überleben von Mensch und Natur dauerhaft zu sichern.


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Dienstag, den 7. Dezember 2010

Das Straßenkinderprojekt hat mich sehr traurig, aber auch hoffnungsvoll gemacht. Jedes Jahr werden in dem Haus zirka 125 Kinder betreut. Sie werden von der Straße aufgelesen und über die Zeit dazu befähigt, eine Ausbildung zu machen. Irgendwann sollen sie auf eigenen Füssen stehen. Falls möglich, werden sie natürlich wieder zu ihren Eltern gebracht. Laut UNICEF leben in Guatemala zirka 10.000 Kinder auf der Straße, davon ungefähr 15  Prozent Migranten, zum Beispiel aus Honduras.Guatemala_021i

Das Projekt mit dem Namen „Nuestros Derechos - Movimiento Nacional de Niños“ (dt.: „Unsere Rechte - nationale Bewegung der Kinder") betreut seit 17 Jahren Straßenkinder auf direkt auf der Straße, in der Ausbildung, oder auch im Gefängnis. Sie besorgt ihnen unter anderem Rechtsanwälte. Die Wiedereingliederungsrate der Kinder liegt bei rund 70 Prozent - vergleichbare Projekte gelten ab 17 Prozent als erfolgreich.

Straßenkinder werden oft wegen kleinster Delikte in Gefängnis gesteckt. Der Leiter des Projektes Carlos Toledo sagt uns: " Nicht die Tat wird bestraft, sondern die Armut". So kommt es vor, dass Straßenkinder missbraucht oder zur Prostitution gezwungen werden. Sie werden oft auch von der Polizei bekämpft, manchmal sogar getötet.

Carlos erzählt, dass sich Behörden aufgrund des Namens der Selbsthilfeorganisation provoziert fühlen und sie doch den Namen der Gruppe ändern sollten. Er macht jedoch deutlich, dass es ihnen um die Kinder gehe und auch deshalb der Name nicht geändert werde. Er erzählt über die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts in Deutschland, wo er vor KirchenvertreterInnen, GewerkschafterInnen und Interessierten gesprochen habe. Was mich als Bayerin besonders freut, ist, dass das Projekt hauptsächlich von Organisationen aus Nürnberg und München finanziert wird.

Ich freue mich auch über eine  Antwort auf eine Frage meines Kollegen Schwabe. Der wollte wissen, ob denn jemals ein Abgeordneter des guatemaltekischen Parlaments hier gewesen sei.  Carlos Toledo bejaht dies, eine Abgeordnete kümmere sich um die Kinder, sie sei von einer linken Partei, der ENCUENTRO POR GUATEMALA, und heiße Nineth Montenegro.Guatemala_017i

Ich denke, das war ein ganz ganz wichtiger Besuch. Die Behörden und auch die Polizei haben unser Engagement registriert und nur durch Öffentlichkeitsarbeit und auch konkrete Hilfe wird sich die Lage konkret verbessern. Zudem - das bestätigen die Aktivisten vor Ort - werden die Kinder und das Projekt durch eine solche Öffentlichkeit besser geschützt.

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Freitag, den 3. Dezember, bis Montag, den 6. Dezember 2010

Rückblick Freitagabend: Die spanischen Fluglotsen streiken. Und zwar ohne Vorankündigung. Das geht aus linker Sicht in Ordnung, würfelt allerdings unsere aufwändig geplante Delegationsreise durcheinander. Denn Madrid war eigentlich unser Umsteige-Flugplatz für den Flug über den Atlantik.

Wir - Abgeordnete des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages - wollten zunächst nach Guatemala und anschließend nach Mexiko zur UN-Klimakonferenz COP 16. Der neue Plan nach schlaflosen Nächten: Wir fliegen über Frankfurt nach Mexiko-City, besuchen dort die Globe-Konferenz (internationales Treffen von Umwelt-Parlamentariern) und fliegen dann für zwei Tage zu Gesprächen nach Guatemala City. Danach geht’s zurück nach Mexiko zu COP 16. Hier bleiben wir als Teil der deutschen Delegation bis zum Wochenende.

Mexiko_001iStreikbedingt landen wir also erst Samstagabend in Mexiko City und fallen todmüde in die Betten. Am nächsten Tag geht’s gleich früh richtig los. Sonntagvormittag nehmen Hermann Ott (Grüne), Frank Schwabe (SPD) und ich am Globe-Treffen teil (Fotos). Dort gibt eine längere Debatte zu geplanten UN-Mechanismen im Waldschutz. Es geht insbesondere um „REDD plus“, einem System zur Honorierung vermiedener Entwaldung.  Debattiert wird auch darüber, wie Cancún doch noch zu einem Erfolg werden kann. Bei letzterem bin allerdings skeptisch. Die Sache ist schon im Vorfeld vergeigt worden, zumindest, was ein halbwegs umfassendes und verbindliches Protokoll betrifft. Gerade erreicht mich auch noch die Nachricht, dass acht US-Stromerzeuger Gesetze zu Fall bringen wollen, die den CO2-Ausstoß der USA partiell begrenzen. Das Oberste Gericht hat jetzt die Klage der Konzerne gegen die Klimaschutzbestimmungen einiger US-Bundesstaaten angenommen. Mit einem Urteil werde nächstes Jahr gerechnet. Na prima.

Am Sonntagnachmittag fliegen mein SPD-Kollege Frank Schwabe und ich nach Guatemala City. Dort treffen wir mit dem Botschafter Herrn Schäfer sowie mit VertreterInnen deutscher staatlicher Organisationen zusammen, die in Guatemala arbeiten. Sie kommen von der GTZ, der KfW und dem DED. Es geht um die Lage in Guatemala, einem sehr gewaltgeprägten Land mit einem extremen Unterschied zwischen arm und reich sowie unglaublicher Korruption. Unsere kleine Delegation steht permanent unter Polizeischutz.

Montagvormittag treffen wir Dr. Zurita, den stellvertretenden Umweltminister des Landes. Wir stellen Fragen zur Biodiversität, zu seiner Haltung zu REDD und zur Erhaltung des Waldes der Region Peten, wo übrigens im Urwald die berühmten Maya-Tempel von Tikal stehen.Mexiko_002i

Im Peten, wo es nahe der Grenze zu Mexiko die größte zusammenhängende Waldfläche des Landes gibt, wurde von Farmern bereits massenhaft Dschungel abgeholzt. Nun sollen dort auch noch Ölbohrungen stattfinden. Es gibt Überlegungen, hier über ein Kompensationsmodell den Kahlschlag zu verhindern. Die Industriestaaten zahlen - analog zum Modell des ITT/Yasuni-Projektes in Ecuador - dafür, dass das Land sein Öl an dieser Stelle im Boden, und damit den Wald stehen lässt. Allerdings ist das Ecuador-Projekt gerade am Scheitern, weil FDP-Entwicklungsminister Niebel eben mal die schon zugesagten Mittel strich.

Am Montag treffen wir VertreterInnen von der GTZ sowie von NGO`s. es geht noch einmal um die Situation in Guatemala, insbesondere um Menschenrechte, den Erhalt der Biodiversität, den Schutz und die Rechte der indigenen Völker. Zudem reden wir über den Bergbau in der Region Malin. Hier werden u.a. Umweltaktivisten kriminalisiert. Das berichtete auch Jose Pilar Albares, evangelischer Priester, der sich für einen den Erhalt eines Berges einsetzte und darum bedroht wird (Foto ganz unten).

Guatemala_007iAnschließend statten wir dem Parlament einen Besuch ab und treffen den Präsidenten Guatemalas, Dr. Álvaro Colom Caballeros (Foto links). Er ist seit dem 14. Januar 2008 Präsident und Mitglied der Partei UNE. Die UNE (dt. Nationale Union der Hoffnung) sieht sich laut Wikipedia „sozialdemokratisch und religiös sozialistisch“. Was das in der Praxis bedeutet können wir leider nicht genauer ergründen, der Zeitplan eines Präsidenten ist naturgemäß eng. Zudem wir treffen gleich Bischoff Ramazzini, der sich für eine umwelt- und sozialverträgliche nachhaltige Politik einsetzt. Er informiert uns über den Abbau von Gold und die damit zusammenhängenden Cyanid-Belastung. Anschließend haben wir noch einmal ein Treffen mit Vertretern des Umweltministeriums. 


Morgen werden wir ein Straßenkinder-Projekt in Guatemala City besuchen. Solche Kinder und Jugendlichen aus meist ärmsten Verhältnissen sind in Guatemala stark gefährdet. Wie wir gehört haben gibt es "soziale Säuberungen" - Kinder werden von paramilitärischen Gruppen oder rechten Extremisten schlicht ermordet. Darum brauchen die Kleinen unsere Unterstützung und Solidarität!Guatemala_005i