Dorothée Menzner in Japan: 11.02.2012: Tokyo - zweiter Tag
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- 11 Februar 2012
Ein sonniger Samstagmorgen. Durch Jetlag ist die Crew früh wach. Ein typisches japanisches Frühstück mit Misosuppe, gebratenem Fisch, Reis und scharfem Ingwer bietet eine gute Grundlage. Erstmal ein wenig die Gegend um das Hotel erkunden. Aus dem kalten Deutschland kommend sind die rund 10 Grad für uns schon fast frühlingshaft.
Nachdem wir die Übernachtungskosten für unser Auto bezahlt haben - Parkgebühren in dem eng bebauten Tokyo sind immens –, machen wir uns auf den Weg zu einem großen Park, in dem eine Anti-Atom-Demo stattfinden soll, zu der wir eingeladen sind. Schon knapp zwei Stunden vor Beginn füllt sich das Areal und – anders als im letzten Sommer – ist es bunt, vielfältig und irre kreativ, was die Bewegung da auf die Beine stellt. Es gibt Bücherstände und Essensstände, und unterschiedliche Initiativenteile stellen ihre Aktivitäten vor. Und vielfach wird deutlich, dass es viele Kontakte zur deutschen Anti-Atom-Bewegung geben muss. Wir sehen Menschen mit deutschen Anti-Atom-Fahnen und -Taschen, mit Gorleben-X am Revers, und wir werden immer wieder angesprochen, denn optisch sind wir ja leicht als Mitglieder der gemeinsamen Bewegung aus Deutschland zu erkennen. Viele haben das Bedürfnis, uns einerseits stolz zu berichten, dass es nun in Japan auch eine breite kritische Öffentlichkeit gibt, die vielfältig ihren Protest und ihre Forderung für einen schnellstmöglichen Atomausstieg kund tut – generationenübergreifend, bunt, vielfältig und entschieden. Wir treffen eine Gruppe shintoistischer Mönche, die ihren Protest durch einen Fußmarsch durch ganz Japan kundtun, genauso wie den pensionierten Ingenieur, der erzählt, dass er früher schon sehr komisch fand, was er bei Besuchen in Deutschland vom Anti-Atom-Widerstand wahrnahm und nun stolz darauf ist, sich als aktiver Teil dieser Globalen Bewegung zu begreifen, genauso wie kämpferische Studenten. Sicher ist nicht unwichtig, dass Künstler und Intellektuelle aller Generationen sich öffentlich positionieren und auf der Kundgebung reden. Exemplarisch seien der junge und in Japan sehr bekannte Schauspieler Taro Yamamoto und der Schriftsteller und Nobelpreisträger Kenzaburō Ōe genannt. Sie, aber auch in der Präfektur Fukushima um ihr Zuhause und ihre Existenz gebrachte, sprechen auf der Kundgebung. Es gibt Musik, und der unverzügliche Atomausstieg wird laut und nachdrücklich gefordert. Es ist eine Stimmung wie bei einer CASTOR-Auftaktkundgebung im Wendland. Nach rund zwei Stunden setzt sich der Demo-Zug in Bewegung, und es dauert lange, bis die Menschenmassen – teilweise sind ganze Belegschaften gemeinsam gekommen – den Platz verlassen haben. Es sind tausende. Viele tausende.
Nachmittags treffen wir drei Aktive, zu denen wir seit dem Sommer Kontakt haben. Nicht ohne Stolz berichten sie uns von dem Projekt, das sie entwickelt haben und intensiv betreiben. Eine Art Bürgergericht, in dem fünf exemplarische Fälle von Geschädigten öffentlich verhandelt werden. Natürlich ist das juristisch irrelevant, aber sie tun das, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es in Japan für Opfer nicht leichter ist als in Deutschland, ihre Schädigung gerichtlich anerkannt zu bekommen. Sie nutzen diese irregulären Gerichtsverfahren – wie sie das nennen – um alle Schädigungen, die Atomtechnik verursacht, transparent zu machen und somit der Bevölkerung, aber auch sich selbst Kenntnisse über diese wahnwitzige Technik zu vermitteln. Sie erfahren mediale Berichterstattung und publizieren die Ergebnisse, und ich stelle fest: der Wissensstand hat in den letzten sechs Monaten enorm zugenommen. Nun gibt es detaillierte Kenntnisse, die im Sommer noch nicht vorhanden waren. Und nicht nur die Schädigung durch den Gau und Fukushima sind Thema sondern z.B. auch der menschenverachtende Uranabbau in Australien und Afrika sowie die auch in Japan gänzlich ungelöste Entsorgungsfrage.
Und sie bestätigen, dass das Abklingbecken von Block IV in Fukushima so geschädigt ist, dass das Ganze bei einem weiteren Erdbeben zu kollabieren droht und dass unsere Informationen stimmen: In diesem Fall ist davon auszugehen, dass eine Evakuierung auch des Großraums Tokyo notwendig würde. 30.000.000 Menschen!!! Wie das gehen soll, das weiß aber auch in Japan augenscheinlich niemand.
Und sie bestätigen meinen ersten Eindruck, dass obwohl nur noch 3 von 54 AKW aktuell am Netz sind, es zu keinen wahrnehmbaren Stromengpässen kommt. Die Konzerne und die Regierung haben nach ihren Worten die Menschen in der Vergangenheit einfach belogen über die Notwendigkeit der Atomenergie. Nach ihren Worten, weil man die Profite und die Option Atomwaffen produzieren zu können, wollte. Fukushima wäre nicht notwendig gewesen! Das macht sie und mich wütend und es macht deutlich, gegen was für ein Kartell der internationalen Konzerne und der von ihnen benutzten Regierungen wir für einen Atomausstieg zu kämpfen haben. Diese Erkenntnis greift in Japan nun Raum und von daher scheint mir unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Menschen bereit sein wird, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Bei mir bleibt der Satz hängen „Fukushima war unnötig!“
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