Maulkorb für Sachverständigen
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- 11 Juni 2010
Bericht vom Gorleben-Untersuchungsausschuss 10.06.2010
Im Untersuchungsausschuss Gorleben wäre es am Donnerstag, den 10. Juni beinahe zu einem Eklat gekommen. Die Anhörung des Sachverständigen Jürgen Kreusch sollte abgebrochen werden, bevor er seine Ausführungen überhaupt begonnen hatte, denn die Koalitionsfraktionen, insbesondere der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel, waren der Meinung, dass der Sachverständige nicht zum Thema der Anhörung reden werde.
Jürgen Kreusch hatte dem Untersuchungsausschuss, wie von Sachverständigen im allgemeinen erwartet, sein Gutachten bereits im Vorfeld der Sitzung schriftlich vorgelegt. Da Herr Kreusch davon ausging, dass sich die Anhörung mit dem beschäftigen würde, was ihm übermittelt wurde – einer wissenschaftlichen Einführung in die Themen des Untersuchungsauftrages – bezog er sich bereits in seinem Gutachten auch auf Gorleben. Die Koalition hingegen vertrat die Ansicht, die Anhörung solle sich ausschließlich mit dem Stand von Wissenschaft und Technik zu Endlager- und Sicherheitsfragen und Kriterien im Jahr 1983 befassen. Zu Beginn seiner Ausführungen versuchte der Sachverständige zu erklären, dass aus seiner gutachterlichen Tätigkeit die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle eng mit Gorleben verknüpft sei. Daraufhin unterbrach die Ausschussvorsitzende Maria Flachsbarth (CDU) den Sachverständigen und forderte ihn auf, beim Thema der Anhörung zu bleiben. Als die Obfrauen der Oppositionsfraktionen dagegen protestierten und darauf verwiesen, das Jürgen Kreusch laut Beweisbeschluss eindeutig zum gesamten Untersuchungsgegenstand Stellung nehmen solle und sich deswegen auch auf Gorleben beziehen müsse, unterbrach Frau Flachsbart die Anhörung und forderte die anwesenden Zuhörer sowie beide Sachverständige auf, den Saal zu verlassen. Der Ausschuss begab sich in eine Beratungssitzung.
Was dann folgte, war eine Farce. Offenbar hat die Koalition vor, die Arbeit des Untersuchungsausschusses mit repressiven Mitteln zu behindern. Denn als nach 75-minütiger Unterbrechung die Anhörung endlich fortgesetzt wurde, schrieb der Ausschuss dem Sachverständigen Jürgen Kreusch zunächst einmal vor, in welchem Rahmen er seine Ausführungen zu halten habe. Man benötigte nicht viel Menschenkenntnis um festzustellen, dass die Schilderungen des Sachverständigen aufgrund dieses Maulkorbs im folgenden eher gezwungen herüberkamen, denn eine wissenschaftlich fundierte Einordnung der Kriterien, die sich an die Endlagerung radioaktiver Abfälle knüpfen, ist kaum möglich, wenn auf konkrete Endlagerprojekte keinen Bezug genommen und das Wort „Gorleben“ nicht erwähnt werden darf. Im Verlauf der Anhörung kam es noch mehrfach zu Zwischenrufen und unaufgeforderten Wortbeiträgen des Abgeordneten Grindel (CDU), der die Befassung mit dem Thema Gorleben im Gorleben-Untersuchungsausschuss offenbar als Provokation empfand.
Die erste Anhörung des Untersuchungsausschusses dokumentierte damit bereits deutlich, mit welcher Strategie die Koalition die Endlagerfrage angehen will. Nämlich jener, die da lautet: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.
„Ein gewisser Standort in Niedersachsen“
Jürgen Kreusch musste seinen Vortrag komplett entgegen seinem Manuskript spontan umbauen. Er beschränkte sich auf die Themen Langzeitsicherheit von Atommülllagern und die sicherheitstechnische Bedeutung der Standortauswahl. Er vermied dabei geschickt das Wort „Gorleben“ und umschrieb es jedes Mal mit blumigen Worten wie „ein Standort in Niedersachsen“ oder „ein Standort der zur Hälfte auf einem anderen Staatsgebiet lag“. – Kreusch legte als ehemaliges Mitglied des sogenannten AK-End Wert darauf, dass Kriterien zur Suche und Beurteilung von Endlagerformationen tunlichst vor der Suche festgelegt werden sollten, was bis heute nicht gelungen ist. – Über den missverständlichen Begriff der Eignungshöffigkeit stellte er fest: “Der Begriff Eignungshöffigkeit treibt seit Ende der 70iger Jahre sein Unwesen. Er stammt aus dem Bergbau und beschreibt die Erwartung auf Rohstoffe wie Gold, Öl oder Gas zu stoßen. Im Zusammenhang mit der Atommülllagerung ist dieser Begriff nie klar definiert worden.“
Im Gegensatz zu Kreusch, hatte Prof. Brewitz, als ausgewiesener Befürworter und ehemaliger Mitarbeiter und Leiter des Instituts für Tiefenlagerung (77-95), mit keinen Vortragsrepressalien zu kämpfen. Für ihn sind eigentlich alle Fragen der Atommüllentsorgung geklärt und vorbildlich gelöst. Salz als Endlagermedium ist ideal. Das Deckgebirge spielt eine unwichtige Rolle, die Salzformation muss groß genug sein für ein „kleines Endlager, nur für hochaktiven Müll“ (25.000 m3). Selbst nach einer erneuten Eiszeit über dem Endlager wäre dann die Langzeitsicherheit gewährleistet.
Die Fragerunden der Abgeordneten verlaufen nach der Berliner Stunde, die Redezeit für die Fraktionen berechnen sich dabei nach ihrer Fraktionsgröße. Für DIE LINKE ergeben sich daher pro Fragerunde nur 7 Minuten… Die Befragung dauerte bis 19.30 Uhr Inhaltlich ergab sich nicht viel Neues, da immer wenn es interessant wurde, die Sitzungsleitung eingriff, um das Thema zu beenden.
Wichtig war die Feststellung, dass bis heute keine verbindlichen Eignungskriterien festgelegt worden sind und diese auch nicht fortgeschrieben werden, nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Am ehesten kann man so eine unausgesprochene Fortschreibung noch bei der Frage der Langzeitsicherheit feststellen. War vor 40 Jahren (Asse) ein Zeitraum von 100 Jahren schon so etwas wie Langzeitsicherheit, so gilt heute eine Sicherheit von 1 Mio. Jahren als angemessen, auch wenn dies eine nicht nachprüfbare Worthülse bleibt.