1976: Gorleben war der Joker
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- 12 September 2011
Die Zeugenvernehmung des ehemaligen niedersächsischen Staatssekretärs Hans-Joachim Röhler vor dem Untersuchungsausschuss Gorleben zeigt, wie bemüht die CDU/CSU-FDP-Koalition ist, die Deutungshoheit über die Geschichte der Standortbenennung Gorlebens zu erlangen. Doch ihr fehlt das Entscheidende: Aktenbelege. Zusammen mit dem Zeugen Röhler versucht CDU-Obmann Grindel beharrlich, eine Phantomstudie herbeizubeschwören, die bereits im Sommer 1976 Gorleben auf Platz eins gesetzt haben soll. Doch eine solche Studie befindet sich nicht in den Akten. Erst nach einem entscheidenden Ministergespräch am 11.11.1976 wird Niedersachsens damaliger Wunschstandort Gorleben in einem nachträglichen Ranking als bester Standort eingestuft.
Über einen Teil der Geschichte sind sich die verschiedenen Fraktionen einig: Die KEWA (Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft), die aus Vertretern der Chemie- und Energie-Industrie bestand, hatte seit 1972 im Auftrag des Bundes an der Suche nach einem Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) gearbeitet. 1974 und 1975 präsentierte die KEWA Berichte, die drei Standorte in Niedersachsen für geeignet hielten: Wahn, Lichtenhorst und Lutterloh. Anschließende Probebohrungen an diesen Standorten führten zu erheblichen Bürgerprotesten, inbesondere aus Reihen der CDU: Rudolf Seiters und Walter Remmers (beide CDU) versuchten ihren Parteifreund, den damaligen Ministerpräsidenten, Ernst Albrecht umzustimmen. Im August 1976 brach man schließlich die Erkundung im Emsland ab. Doch der Bund machte Druck: Niedersachsen solle sich mindestens bereit erklären, überhaupt einen Standort zu benennen.
Also suchte man nach möglichen Alternativen. Der Interministerielle Arbeitskreis IMAK wurde auf Landesebene eingesetzt. Auch die Energiewirtschaft machte Druck: Heinrich Mandel, RWE-Vorstandsmitglied und Präsident des Deutschen Atomforums, schrieb am 8.11.1976 einen Brief an Ministerpräsident Albrecht und sprach am 11.11.1976 mit Walther Leisler Kiep, damals Finanz- und Wirtschaftsminister in Niedersachsen. Schließlich war seit Kurzem eine Bedingung für den Weiterbetrieb und Neubau von AKW die Entsorgung des strahlenden Mülls geworden. Die Ereignisse um den 11.11.1976 lesen sich wie ein Krimi.
An jenem 11.11.1976 fand ein zentrales Ministergespräch zwischen Bund und Land in Hannover statt. Die Gorleben-Kritiker sehen es so: Gorleben wurde bei diesem Ministergespräch aus dem Hut gezaubert, vermutlich durch den damaligen Finanz- und Wirtschaftsminister Walther Leisler Kiep oder durch den Ministerpräsidenten Albrecht selbst. Der Name Gorleben hat damals intern Überraschung ausgelöst, wurde aber erst am 22.2.1977 durch Albrecht der Öffentlichkeit verkündet. Der TV-Ausschnitt, auf dem Albrecht grinsend vor der Karte steht und auf Gorleben deutet, ist legendär geworden.
Die Phantomstudie
Weil es reichlich unseriös ist, einen Standort ohne fachliche Grundlage zu nennen, versucht nun die CDU die Geschichte umzuschreiben. Dieser Benennung am 11.11.1976 habe eine sogenannte „KEWA-Nachbewertung“ zugrunde gelegen. Diese „Nachbewertung“ soll bereits Mitte 1976 zu dem Ergebnis gekommen sein, Gorleben sei der am besten geeignete Standort. Fakt ist: diese Studie, auch „Zweite KEWA-Studie“ oder „KEWA-Nachbewertung“ genannt, gibt es nicht. In den tausenden von Akten, die dem PUA vorliegen, hat man sie nicht finden können. Es ist eine Phantomstudie, die die CDU da beharrlich immer wieder herbeiphantasiert, und dabei hat ihr der Zeuge Hans-Joachim Röhler, ehemals Staatssekretär im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium, bei seiner gestrigen Zeugenvernehmung nach Kräften versucht, zu helfen. Erfunden hat die Phantomstudie vermutlich der Historiker und CDU-Mitarbeiter Dr. Anselm Tiggemann, der seine Gorleben-Story erstmals im Auftrag des Niedersächsischen Umweltministeriums als „Expertise“ im Mai 2010 präsentierte. Er stützte sich dabei wesentlich auf die Aussage des damaligen Ministerialrats Klaus Stuhr aus dem Niedersächsischen Wirtschaftsministerium (NMW), der sich aber als Zeuge Im Juli nicht an eine Nachbewertung erinnern konnte. Außerdem spricht Tiggemann von „Fragmenten“ in den Akten, die aber erstens undatiert und zweitens von den Kriterien her eher dem späteren IMAK zuzuordnen sind.
Wie von Zauberhand
Tatsächlich war Gorleben vermutlich ein Coup aus dem NMW, ausgeklügelt möglicherweise unter anderem durch Stuhr, der vom Landtagsabgeordneten Kurt-Dieter Grill (CDU) eingeflüstert bekam, dass im Wendland wenig Widerstand zu erwarten sei und man dort froh über die „Strukturhilfe“ wäre, die Arbeitsplätze in das damalige Zonenrandgebiet brächte. Zumindest war es eine informelle Ebene, die dazu führte, dass Kiep und Albrecht am 11.11.1976 Gorleben ins Spiel brachten, keine Studie und keine Nachbewertung, keine geologischen Gründe. Eine solche „Nachbewertung“ kam erst danach und wurde durch den niedersächsischen Arbeitskreis IMAK angefertigt. Das Ergebnis war von vornherein klar: Neue Kriterien, neues Spiel, Gorleben wurde durch Zauberhand zum Standort mit den besten Ergebnissen. Die Standorte Wahn, Lichtenhorst und Lutterloh weit abgeschlagen.
Welche Rolle spielte nun der damalige Staatssekretär Röhler? Er war sehr nah dran an den Dingen und hat sich nun die Mühe gemacht, die niedersächsischen Akten nocheinmal einzusehen. Entsprechend erinnert er sich gut und versucht, die mittlerweile „offizielle“ Story der Nachbewertung zu erzählen. Doch er klagt darüber, dass man ihm in Niedersachsen nicht alle Akten herbeigeschafft hat. Dass die KEWA-Nachbewertung nicht auffindbar ist. Er hat bei der Befragung durch die Opposition damit zu kämpfen, dass kein Vermerk vor dem 11.11.76 existiert, der diese Nachbewertung thematisiert. Mit Ausnahme eines Telefongesprächs, das am 26. August 1976 geführt wurde und in dem von insgesamt 11 Standorten gesprochen wird, unter ihnen Gorleben. Dieses Telefongespräch, einziges Papier unter zehntausenden, das CDU-Obmann Grindel triumphierend präsentiert, ist allerdings ein schwacher Beweis. Das niedergeschriebene Telefongespräch auf Arbeitsebene bestätigt in gewisser Weise, wie informell das Namedropping der Standorte möglicherweise war. Dass hierüber ein schriftlicher Vermerk in den Akten angelegt wurde, wirkt tatsächlich wie ein Faux-Pas.
Spekulationen beleben das Geschäft
Es müsse doch einen Sprechzettel für den Minister Kiep gegeben haben, den er am 11.11.1976 benutzt habe, spekuliert CDU-Obmann Grindel. Dankbar nimmt Röhler diesen Hinweis auf: Ja selbstverständlich habe man für solch eine wichtige Sitzung einen Sprechzettel verfasst. Da muss Gorleben draufgestanden haben. In den Akten: kein Sprechzettel. Aber eine Kabinettsvorlage vom 8.11.1976 für den Minister Kiep taucht dann auf. Darin: keine Erwähnung von Gorleben, nur die drei von der KEWA vorgeschlagenen und nicht gewollten Standorte. Diese Kabinettsvorlage verblüfft den Zeugen derart, dass er ein der Sitzungspause zur Opposition kommt und sich das Papier näher ansieht. Er hat hierfür keine Erklärung.
Röhler gibt übrigens ganz offen zu, dass man damals sowohl von den fündigen Gasbohrungen der DDR wusste, als auch, dass vermutlich in Niedersachsen unter dem Salzstock Gas sei. Doch da man die Aufsuchung des Rohstoffs untersagte, sah Röhler hier kein weiteres Sicherheitsproblem. Im Übrigen muss es, das gibt Röhler auf Nachfrage an, eine Übereinkunft mit der DDR gegeben haben, dass man auch dort keine weitere Bohrung in oder am Salzstock Gorleben unternimmt. In den Akten: nichts dergleichen.
Der Joker
Warum man aber die Platzziffer eins der TÜV-Studie vom Dezember 1976, das schleswig-holsteinische Nieby, nicht berücksichtigt wurde, will Röhler damit erklären, dass geologische Daten gefehlt hätten. Später wird der Zeuge Röhler etwas umgänglicher: Er wisse zwar nicht, wie genau Gorleben eingeführt wurde, möglicherweise sei es aber ein Stoßtruppunternehmen gewesen. Niedersachsen wollte den Bund eventuell mit Gorleben konfrontieren – der Bund sah durch die DDR-Nähe außenpolitische Probleme – um Luft zu kriegen und eigene Untersuchungen durchführen zu können.
Dann sagt Röhler vermutlich unverhofft die Wahrheit und widerspricht seiner vorhergehenden Version: Gorleben sei im IMAK – das ist der niedersächsische Arbeitskreis - erarbeitet worden. Die IMAK habe absolut vertraulich getagt, weil man wusste, dass in der niedersächsischen Staatskanzlei nichts wirklich geheim gehalten werden konnte. Man war sich bewusst, wie sensibel das Thema war. Doch dass das Wirtschaftsministerium die Entscheidung Gorleben getroffen hat – so weit will Röhler nicht gehen und verneint dies vehement. Das Gespräch am 11.11. war von Seiten der Bundesminister recht aggressiv geführt worden – das war auch zu erwarten gewesen. Röhler äußert, dass sich die Niedersachsen vorbereitet haben, „für den Fall, dass die uns überrollen“ einen vierten Standort zu nennen: Gorleben. Und so kam es dann auch.