Scharfe Kritik aus den eigenen Reihen
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- 19 Dezember 2011
Im Europasaal des Deutschen Bundestags könnte man eine Nadel fallen hören, wäre nicht überall Teppichboden ausgelegt. Es herrscht gespannte Stille. Der Zeuge spricht sehr leise und langsam, aber seine Worte haben Brisanz. Prof. Dr. Helmut Röthemeyer ist kein Unbekannter für den Untersuchungsausschuss Gorleben. Er hat schon einmal im Juli 2010 ausgesagt. Seit 1977 beschäftigte sich der heute 73-Jährige mit der nuklearen Entsorgung, erst als Abteilungsleiter in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), dann als Fachbereichsleiter im Bundesamt für Strahlenforschung (BfS). Aber 2010 ging es nicht um die Änderungen am Erkundungskonzept, wie sie 1997 durchgeboxt wurden. Gegen Röthemeyers Willen. Wie konnte das sein?
Diesmal dringen die wohl gesetzten leisen Worte Röthemeyers wie kleine Nadelstiche in die Ohren der Gorleben-Befürworter, die wie Seeleute auf einem sinkenden Schiff an dem Glauben festhalten, es sei immer alles mit rechten Dingen zugegangen. Für die Änderungen am Erkundungskonzept 1997 spielte ein Schreiben von Dr. Thomauske vom 23.01.1997 an das Bundesumweltministerium (BMU) eine zentrale Rolle. Röthemeyer war zu diesem Zeitpunkt Thomauskes Vorgesetzter. Trotzdem hat er dieses Schreiben, in dem er mehrere wichtige Aussagen zur veränderten Vorgehensweise bei der Erkundung in Gorleben macht, nicht mit Röthemeyer abgestimmt. „Ein Schreiben von dieser Bedeutung hätte auf jeden Fall über meinen Schreibtisch gehen müssen.“ Ist es aber nicht.
Dienstweg nicht eingehalten
Was wäre passiert, wenn Thomauske den Dienstweg eingehalten und Röthemeyer das Schreiben gesehen hätte? Röthemeyer hätte auf keinen Fall zugelassen, dass man derart positive Behauptungen aufstellt, zum Beispiel, dass der Nachweis der Eignung des Salzstocks auf der Grundlage der Ergebnisse aus dem Nordosten führbar sei. Röthemeyer hätte darauf bestanden, dass man den Südwesten ebenfalls erkunden muss. Aus Sicherheitsgründen. Röthemeyer ist beileibe kein Kritiker von Gorleben, im Gegenteil. Aber die Sicherheit hatte bei ihm immer Vorrang. Doch diese Haltung wurde ihm von seinen Vorgesetzten als Zögerlichkeit angekreidet. Das gewissenhafte Einhalten von bestimmten Normen wie zum Beispiel, dass man den gesamten Salzstock erkunden muss, um eine Eignungsaussage machen zu können, war politisch nicht gewünscht.
Denn die Lage war verzwickt: Die Bunderegierung sah sich in den 1990er Jahren nicht in imstande, die im Südwesten liegenden fehlenden Salzrechte des Grafen von Bernstorff in absehbarer Zeit zu erlangen. Bis heute kann mindestens ein Drittel des Salzstocks nicht erkundet werden, weil Graf von Bernstorff und die Evangelischen Kirche ihre Salzrechte nicht abgeben. Die Bundesregierung wollte unbedingt trotzdem mit der Erkundung fortfahren.
Den Ausweg aus der verfahrenen Situation bot Dr. Thomauske, schon damals ein Macher, der die Dinge vorantreibt und eine „Allzweckwaffe“ bis heute. 1997 bereitete Thomauske die Entscheidung vor, sich auf den Nordosten zu beschränken. Mit dem Segen der Führung des Bundesamts für Strahlenschutz schrieb also Thomauske am 23.01.1997 ans BMU dass man auch ohne die fehlenden Salzrechte erkunden und zu einer Eignungsaussage kommen könne. Bestimmte Bereiche müssten umfahren werden und bei anderen Bereichen drohte zwar das Risiko der Durchfahrung des Hauptanhydrits, doch dies sollte als Einwand nicht im Weg stehen. Die Durchfahrung des Hauptanhydrits nennt allerdings Röthemeyer bei seiner Vernehmung eine „Sünde wider den Heiligen Geist“: Es wäre für ihn absolut ausgeschlossen so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Bedenken nicht angehört
Auch die Ausführungen zur Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Nordosten auf den Südwesten, die Thomauske machte, konnte und kann Röthemeyer nicht mittragen. Man müsse sich doch nach der Erkundung nur eines Flügels immer wieder die Frage gefallen lassen, ob nicht im anderen Teil eine viel ungünstigere Situation vorzufinden sei. Zudem hatte Thomauske behauptet, man könne durch indirekte Methoden auch wichtige Erkenntnisse erlangen. Auch dies weist Röthemeyer zurück: Nachprüfbare Sicherheit könne niemals durch indirekte Methoden erlangt werden. Wie wenig vorhersagbar die geologischen Verhältnisse seien, habe man gesehen, als man die Hauptstrecke und die Infrastrukturräume des Bergwerks verlegen musste. Dies hatte die starke Verfaltung im älteren Steinsalz erforderlich gemacht, mit der man nicht gerechnet hatte. Auch andere geologische Überraschungen sind nach Ansicht der Experten immer möglich. Daher hält man ja auch die umfassende Erkundung für notwendig.
Röthemeyer selbst, auch sein Kollege Wosnik und andere hatte damals ihre Bedenken gegen diese Vorgehensweise vorgebracht. Aber nie eine Reaktion erhalten. Gemacht wurde, was die Führung des BfS wollte und was das BMU durchaus teilte: Unter Inkaufnahme von Sicherheitsrisiken, nur einen Teil des Salzstocks zu erkunden und dabei bestimmte Strecken zu umfahren, bei denen die Salzrechte nicht vorlagen.
Formal war es nur möglich Röthemeyer dauerhaft zu umgehen, indem man das Bundesamt für Strahlenschutz im Fachbereich Nukleare Entsorgung umstrukturiert hat. Zum 1. April 1997 wurde Thomauske zum Fachbereichsleiter befördert, formal auf Augenhöhe mit Röthemeyer aber mit umfassenderen Kompetenzen ausgestattet, wie etwa einem Direktionsrecht auch über die Mitarbeiter Röthemeyers. In der Vernehmung wird deutlich, dass Röthemeyer bis heute nicht wirklich verstanden hat, weshalb er damals im BfS entmachtet wurde, er war damals juristisch dagegen vorgangen. Schließlich sei er damals der Einzige an der Spitze seines Amtes gewesen, der langjährige Erfahrungen mit komplexen technischen Atomanlagen hatte, sagt er in seiner Vernehmung. 1999 hat Thomauske dann wieder seinen Platz geräumt und Röthemeyer kam in seine alte Position zurück, doch die Entscheidungen unter Thomauskes Verantwortung wurden deswegen nicht zurückgenommen.
Die Führung entscheidet
Röthemeyers Vernehmung bestätigt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt offensichtlich derjenige Wissenschaftler Karriere machte, der versprach, das politisch Gewollte durchzusetzen. Röthemeyer mit seiner streng wissenschaftlichen Vorgehensweise und höchsten Ansprüche an wissenschaftlich einwandfreiem Arbeiten, wurde rechtzeitig abgeschaltet. Es ist offensichtlich, dass Thomauske hier für die Bundesregierung die Rolle des Vorantreibers hatte. In der Befragung Röthemeyers durch Dorothée Menzner, Obfrau der LINKEN im Untersuchungsausschuss, wird deutlich, dass dies das Bundesumweltministerium, das damals von Angela Merkel geführt wurde, auch mitgetragen hat. Wieviel Pfuscherei und Stümperei dann solche Entscheidungen kosten, ist gerade bei einem Endlager, das auch für viele unzählige Generationen nach uns noch sicher sein soll, eine heikle Frage. Zumal ebenjener Dr. Thomauske heute an einer Vorläufigen Sicherheitsanalyse für Gorleben arbeitet, die Ende 2012 vorliegen soll und für Gorleben vielleicht entscheidende Weichen stellt.
Mit Prof. Röthemeyer hat wieder ein überzeugter Gorleben-Befürworter scharfe Kritik geäußert. Von einem wie ihm muss das offene Wort die Union besonders schmerzen. Sein Vorwurf, hier wurde allzu pragmatisch gehandelt und die Sicherheit außen vor gelassen, wiegt schwer.
Der kirchliche Widerstand
Dabei hatte der Tag fast unterhaltsam begonnen. Vormittags war hatte der Zeuge Pastor Gottfried Mahlke ausführlich über seine Zeit als Pastor der Kirchengemeinde Gartow erzählt, wo er von 1974 bis 1988 tätig war. Mahlke übt seinen Glauben und Rolle als Kirchenmann sehr aktiv politisch aus. Der heute 64-Jährige erklärt, Gott habe den Menschen die Herrschaft über die Erde und die Natur verliehen, um diese zu bewahren. Die Anwendung von Atomkraft sieht er als Missbrauch dieser Herrschaft , weil sie unkalkulierbare Gefahren für die Menschheit berge. Als am 22.2.1977 die Standortentscheidung Gorleben für ein Nukleares Entsorgungszentrum bekannt gegeben wurde, konnte man im Landkreis diese Nachricht kaum fassen. Man war entsetzt. Die ersten Reaktionen waren durch dergestalt „nicht in unserem schönen Landkreis“. Doch bereits nach 14 Tagen änderte sich dies. Es war nicht mehr das St.-Florians-Prinzip „Nicht bei uns“, das vorherrschte, sondern die Ansichten differenzierten sich. Man begann sich schlau zu machen und der Widerstand richtete sich fortan gegen die Nutzung der Atomenergie. Mahlke hielt damals eine engagierte Rede, die auch die damals erstmals publizierten Thesen des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ miteinbezog und die er als eine „Parteinahme für die Schöpfung“ beschreibt.
Etwa ein Jahr später am 25.03.1978 erhielt die Kirchengemeinde Gartow ein Kaufangebot der DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernbrennstoffe). Auch andere Grundbesitzer erhielten ein solches Angebot, das für alle völlig unerwartet kam, da die Landesregierung die "Vorläufigkeit" der Standortbenennung betont hatte. Das Kaufangebot war zudem mit einer Frist von 40 Tagen versehen. Der angebotene Kaufpreis betrug 4,10 DM/qm, wobei der durchschnittliche Verkehrswert mit 0,45 DM/qm angegeben wurde, darüber hinaus bot die DWK einen Standortzuschlag von 0,65 DM/qm sowie einen Interessenzuschlag von 3 DM/qm. Der Kirchenvorstand entschied sich gegen den Verkauf des Waldstücks, für das sich die DWK interessierte und begründete dies politisch: Man sei nicht bereit für eine Wiederaufbereitungsanlage Grund und Boden zur Verfügung zu stellen. Die übrigen Grundstückseigentümer, überwiegend Bauern, waren zu etwa zwei Dritteln zunächst entschlossen, nicht zu verkaufen. Doch dann drohte man mit Enteignung. Dann würde man weitaus weniger für die Grundstücke erzielen, so die Vertreter der DWK. Kurz vor dem Ende der 40-Tage Frist, tauchten die Vertreter der DWE scheuten und Salander, im Landkreis auf und machten zusätzlich Druck auf die Bauern. Ein Berichterstatter schrieb damals: „Die waren alle nervlich fertig, so am Ende, dass sie nicht mehr klar denken konnten.Einer unterschrieb noch zwei Minuten vor zwölf.“
Die Albrecht-Lüge
Sehr eindrücklich schildert Pastor Mahlke auch eine andere Situation, die sich etwa weitere zwei Jahre später abspielte. Der politische Druck war mittlerweile so groß geworden, dass Ministerpräsident Albrecht in einer Regierungserklärung am 16.05.1979 erklärt hatte, die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) sei zwar technisch machbar aber politisch nicht durchsetzbar. Ohne WAA hielt man ein Atommülllager in Gorleben für eher durchsetzbar.
Da die örtliche Bevölkerung aber weiterhin skeptisch war, ob diesen Worten Glauben zu schenken sei, habe man sich nochmal direkt an Albrecht gewandt und dieser habe seine Haltung auch nocheinmal schriftlich in einem Brief an den Gesamtgemeindebürgermeister Heinz Ratje bestätigt, die Landesregierung werde „einem etwaigen Antrag auf Errichtung einer WAA im Landkreis Lüchow-Dannenberg auf keinen Fall zustimmen …, von wem auch immer der Antrag gestellt werden mag.“ Dies gelte selbstverständlich auch für den Antrag, den die DWK bereits gestellt habe. Doch wenige Monate später hat Albrecht seine Meinung wieder geändert, denn am 1.11.1982 wurde Dragahn, etwa 30 Kilometer westlich von Gorleben, als Standort für eine WAA benannt. Die überwiegend christlich-demokratischen Kommunalpolitiker äußerten sich enttäuscht über ihren Ministerpräsidenten. Die Bevölkerung war empört und fühlte sich nicht ernst genommen. Das Vertrauen war von nun an nachhaltig beeinträchtigt. Zwölf Pastoren gaben eine öffentliche Erklärung ab, in der sie sich von der „Albrecht-Lüge“ bestürzt zeigten und für unakzeptabel erklärten, dass christliche Politiker so unverantwortlich mit der Wahrheit umgingen.
Und auch beim Projekt PKA (Pilotkonditionierungsanlage) im Jahr 1988 schalteten sich die Pastoren wieder ein und forderten, dass "der Staat nach menschlicher Einsicht und menschlichem Vermögen dem gerecht wird, was ihm nach Gottes Willen aufgegeben ist". Die Risiken der friedlichen Nutzung der Kernenergie seien nicht mehr verantwortbar. Zudem entnahm man dem Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom 13.01.1988, dass es hier nicht nur um eine Erkundung gehe, sondern nur noch um die Frage, wieviel und welche Arten von Atommüll einzulagern seien.
Vorreiter in der Kirche
Die Zeugenvernehmung Mahlke macht den kirchlichen Widerstand deutlich, der sich vermutlich nicht zwangsläufig so schnell so entwickelt hätte, wäre die Kirche nicht zu einer Entscheidung wegen ihres Grundeigentums gezwungen gewesen. Dass Mahlke, dessen Positionen in der Kirchenführung durchaus umstritten waren, dabei eine Vorreiter-Rolle spielte, muss der Zeuge an dieser Stelle nicht erklären. Als er 1980 auf dem besetzten Bohrgelände 1004 (Republik Freies Wendland) eine Pfingstpredigt halten wollte, wurde ihm dies von der Landeskirche verboten. Später, zum Anlass seiner Pensionierung, wurde er „rehabilitiert“. Nach dem Tschernobyl-Gau von 1986 schwenkte die Kirche insgesamt auf einen atomkritischen Kurs ein.
Mahlke schließt nach Pastoren-Art mit einem mahnerischen Wort: „Verantwortbarkeit kann nicht behauptet werden, sie kann nur durch Verlässlichkeit, Vertrauen und Transparenz realisiert werden. Dass das Röttgen-Ministerium weitere 73 Millionen Euro für die Erkundung von Gorleben in den neuen Haushalt einstellt, aber nur drei Millionen für die alternative Endlagersuche sei nicht gerade eine Vertrauen bildende Maßnahme.