Gipfelstimmung auf Tiefpunkt


Tag 3 - Donnerstag, 21. November 2013
 

Es ist Donnerstag Abend, und ich schaue auf einen Tag voller Ereignisse zurück. Am Morgen ahnen wir nicht, dass die Stimmung im Laufe des Tages auf seinen vorläufigen Tiefpunkt zusteuert. Der Weg vom Hotel zu unserer Bürobesprechung ist sehr kurz. Zwei Stationen mit der Straßenbahn, schon sind wir schon am Stadion. Nicht immer liegen die Tagungsorte der Klimakonferenz so zentral wie in der polnischen Hauptstadt.

Früh um 8 Uhr Bürobesprechung. Die VerhandlerInnen der Bundesregierung geben ihre Berichte ab. Ein hartes Brot, manche haben erst um 4 Uhr früh die Arbeit beendet. An ihren Gesichtern lässt sich erkennen, dass dies nicht die erste durchgearbeitete Nacht in Konferenzräumen und vor dem Rechner war. Es geht um harte Inhalte und Millionen von Euro. Zum Beispiel die Entschädigungszahlungen für "Schäden" durch den Klimaschutz. Oder wie eine Verminderung der Ölförderung angegangen werden kann. Wie werden die Regeln gestaltet, die die Verpflichtungen zur CO2-Reduzierung festlegen? Und wann müssen die Verpflichtungen der internationalen Gemeinschaft vorgelegt werden? Nicht alle spielen da mit. Länder wie die USA, Kanada und Australien wollen sich nicht von Außen auf Ziele festnageln lassen, sie setzen auf nationale Eigenständigkeit und eigene Reduktionsziele. Und die Entwicklungsländer pochen auf finanzielle Zusagen aus dem Norden, erst dann wollen sie über eigene Reduktionsziele reden.

In der Nacht zum Dienstag war der G77-Gruppe+China, die Verhandlungsgruppe von 133 Entwicklungsländern in den Vereinten Nationen kurz der Kragen geplatzt. Wegen der sturen Haltung einiger Bremser hatte der G77-Verhandlungsführer aus Bolivien, dem südamerikanischen Land war jüngst die  Präsidentschaft übetragen worden war, die Verhandlungen über eines der wichtigsten Konferenz-Themen „loss and damage“ („Klimawandelbedingte Verluste und Schäden“) unterbrochen. Sind die Industrieländer nicht bereit wie in Südafrika 2013 vereinbart in den Grünen Klimafonds einzuzahlen, grüne High-Tech-Technologien zu teilen und Klimaflüchtlingen zu helfen, so mache weiteres Reden keinen Sinn. Erst im Laufe des Mittwochs wurde wieder miteinander gesprochen.  

Nach der Bürobesprechung Besuch des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Polen. Rüdiger Freiherr von Fritsch berichtet galant über den erfolgreichen "Transformationsprozess" unseres Nachbarlandes. Von mir nur soviel zu diesem Erfolg blühender Landschaften: In Polen ist die Kluft von Arm zu Reich die größte in ganz Europa. 27 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Die Antwort vom einstigen Verhandlungsmitglied der EU-Osterweiterung und Ehemann von Huberta, geb. Freiin von Gaisberg-Schöckingen riecht durch und durch nach der elitären Luft des von ihm einst besuchten Luxus-Internats Salem: "Die Zahlen sind noch nicht nach EU-Normen erhoben, dann werden sie sicher sinken". Den Geldadel auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Grenze kann es standesgemäß freuen, wenn Parkwächter einen Stundenhungerlohn von 0,50 Cent bekommen und die Durchschnittsrente bei 400 Euro liegt.

Auch die Haltung von COP19-Gastgeber Polen zur Kohle ist Thema. Ganz offensichtlich wollte sich das 38-Millionen-Einwohnerland mit der Ausrichtung der Klimakonferenz ein grünes Mäntelchen überhängen. Der Schuss ging klar nach hinten los. Die internationalen Medien sind voll vom zweifelhaften, geradezu unverschämten Gipfel-Sponsoring der Multis. Gestern wurde, augenscheinlich auf Druck von in den Startlöchern stehenden Energie- und Bergbauwirtschaft, Polens Umweltminister im Rahmen einer Kabinettsumbildung der Mitte-Rechts-Regierung entlassen. Den Klimagipfel führt Marcin Korolec leider noch zu Ende. Kein gutes Ohmen für die Abschlusserklärung am Freitag. Denn Korolec ist ein Bremser. Ein Mann am falschen Platz, der Braunkohle für „unverzichtbar“ hält. Und 2012 mit seinem Veto als einziges EU-Land verhinderte, den CO2-Ausstoß der EU bis 2020 auf 25 Prozent statt nur 20 Prozent zu reduzieren. Regierungschef Donald Tusk hat den 43Jährigen als neuen Regierungsbeauftragten für Klimaschutz aufs Abstellgleis geschoben. Sein designierter Nachfolger ist nicht besser, Maciej Grabowskiist gilt als expliziter Verfechter der Schiefergasförderung und soll für ausländische Investoren den Rechtsrahmen schaffen, den sein Vorgänger nicht hinbekommen hat. Na bravo! Natürlich müssen wir die Sorgen der Menschen um ihren Arbeitsplatz ernst nehmen. Dazu gehören aber auch Konversionsprogramme, weg von der Kohle, hin zu den Erneuerbaren. Und regenerative Energien, das ist längst klar, werden viele neue Arbeitsplätze schaffen!

Wir eilen weiter. Nach dem Botschaftsbesuch Treffen mit Nichtregierungsorganisationen aus China. Unter anderem Greenpeace stellt Bemühungen von NGO, aber auch der Regierung dar. Nachdem die Luftverschmutzung im BRIC-Staat zum dringenden Thema wird, stellt Peking mittlerweile Kohlereduktionspläne auf. Auch in den Bereichen Verkehr, Transport und Energieeffizienz unternimmt die kommunistische Regierung große Anstrengungen. Auch unsere Ablehnung von CCS, der Verpressung von CO2 unter die Erde, ist Thema. Immer wieder angemahnt wird von den Gesprächspartnern aus Asien die wichtige Rolle Deutschlands im europäischen Prozess. Als wichtigste Wirtschaftskraft hat Berlin besondere Verantwortung. Auch solle die Vorreiterrolle bei der Energiewende weitergeführt werden. Längst ist Energiewende in alle Sprachen der Welt eingegangen. Hört sich besser an als das ebenfalls international gewordene Wort Waldsterben, oder?

Inzwischen sickern erste Informationen über den Eklat des Tages durch. Die wichtigsten großen nichtstaatlichen Organisationen und Gewerkschaften, darunter Greenpeace, Oxfam, BUND und der WWF, haben eine Protestaktion geplant. Wegen der unglaublichen „Ambitionslosigkeit“ der Industrieländer ist jetzt auch den Vertretern der Zivilgesellschaft der Geduldsfaden gerissen. Sie wollen in einem „walk out“ geschlossen aus dem Plenum ausziehen. Nach einer spektakulären Pressekonferenz ist es soweit. Ich demonstriere mit und begleite sie ein gutes Stück. Ihre Verärgerung ist nachvollziehbar, ich teile sie in allen Punkten. Bis 2015 bei der Konferenz in Paris soll ein globaler Pakt die Erderwärmung stoppen. Und hier in Warschau bewegen sich die Regierungen im Schneckentempo.

Beim anschließenden Treffen mit VertreterInnen der indigenen Völker. Eine Frau aus dem Tschad, die wir bereits in den letzten beiden Jahren getroffen hatten, berichtet von der Dringlichkeit des Handelns. Seit dem letzten Treffen sei es in ihrer Heimat um ein weiteres Grad wärmer, bei Spitzentemperaturen von unerträglichen 51 Grad Celsius. Teer schmilzt auf der Straße, und eine neue Malaria-Art breite sich aus. Viele Kinder bis sechs Jahren würden an der Tropenkrankheit sterben, wegen großem Durst würde Wasser aus schmutzigen Brunnen entnommen. Sauberes Trinkwasser können sie nicht kaufen: "Aber wir haben eben keine anderen Möglichkeiten." Hilfsorganisationen investieren zu wenig in Prävention, sagt die alte Bekannte. Und meint: "Wir müssen uns auf unser traditionelles Wissen, also überlieferte Kenntnisse zurück besinnen!“. Bei der nächsten Klimakonferenz in Peru soll es eine Prä-COP20 der indigenen Völker geben, so ein Vorschlag aus Venezuela für 2014. Ich meine, wir brauchen besonders in den reichen Ländern eine Debatte darüber, was für uns in Zukunft Wachstum, Fortschritt und Wohlstand bedeutet.


Weitere Blogbeiträge und Infos zur Klimakonferenz in Warschau sind hier zu finden.     

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