Tagebuch Klimakonferenz Lima - Tag 1
- Details
- 10 Dezember 2014
Dienstag, 9. Dezember 2014:
Ankunft in Lima
Von fehlenden Krankenhäusern, Klimakosten und schmallippigen Regierungen
Ankunft in Lima, der alten Kolonialstadt, untergegangenes Verwaltungszentrum der Spanischen Krone, heute Hauptstadt vom Boom-Land des Kontinents. Von der Kapitale des Vize-Königreiches Alto Peru gingen Gold, Silber und Hölzer in die Alte Welt. Für Königshäuser, Industrialisierung und Wohlstand Europas mussten die Kolonien bluten. Auch mit der Unabhängigkeit änderte sich wenig an der einseitigen Rohstoff-Weltmarktausrichtung. Statt der Spanier machten in der Republik deren Nachkommen das Geschäft. Bis heute ist der Bergbau wirtschaftliches Standbein, eine Folge von Kolonialismus und Eliten ohne Gemeinwohlorientierung. Nach der Zerstörung der Inka-Gesellschaft verboten die Konquistadoren nicht nur heimische Religion und Mitbestimmung der Eroberten. Auch die Herstellung weiterverarbeiteter Produkte in Manufakturen war Tabu, ein strukturelles Erbe, das nachwirkt.
Heute hat ein neuer Rohstoff-Boom die 30-Millionen-Einwohnernation ergriffen, die Wirtschaft floriert. Vom Flughafen bis zum Hotel im Nobel-Stadtteil Miraflores sind es 15 Kilometer. Unterwegs sind wir über eine dreiviertel Stunde. Das Reisen zu den Klimakonferenzen sind immer wieder ein Lektion, die wir im reichen Europa nie vergessen dürfen: Die Geschichte der Globalisierung ist keine Erfolgsgeschichte, sind hat Gewinner und Verlierer. Arm und Reich ist auch im 21. Jahrhundert die Ungerechtigkeit schlechthin. Die Ungleichheit zwischen Industriestaaten im Norden und Entwicklungsländern im Norden nimmt trotz des Aufstiegs der Schwellenländer weiter zu. Unten und oben leben in getrennten Welten.
Als Mitglied der deutschen Delegation haben wir ein straffes Programm: jeden Tag von morgens um sieben bis in die Nacht, ein voller 12-Stunden-Tag. Schon in der Nacht unserer Ankunft haben wir zwei Termine. Die neue Generalsekretärin der internationalen Klima-Parlamentariergruppe GLOBE Malini Mehra stellt sich vor und berichtet über Probleme in der Vergangenheit und Pläne für die Zukunft. Die deutsche Verhandlungsführerin Nicole Wilke aus dem Umweltministerium gibt uns anschließend einen ersten Einblick, was die Delegierten aus über 180 Staaten in einer Woche erreicht haben. Dann gehen wir schlafen, in wenigen Stunden beginnt der erste Gipfel-Tag.
Peru ist ein klassisches Entwicklungsland: Krankenhäuser, Straßen, Schulen oder Bibliotheken fehlen, vor allem auf dem Land. Fließend Wasser oder Abwasser-Kanalisationen sind nicht die Regel. Nicht wenige Mütter kochen das tägliche Essen noch mit Holz. Wenn also die große Mehrheit der Menschen dieser Erde schon jetzt abgehängt ist - was wird ihnen die Zukunft mit den drastischen Folgen des Klimawandels bescheren? Kein Wunder also, dass „Entwicklung“ und „Wachstum“ im globalen Süden bisher kaum auf massiven Widerstand stößt. „Brot und Freiheit“ oder „Mehr Infrastruktur, weniger Armut“, Botschaften wie diese gehören zur Grundausstattung jedes lateinamerikanischen Politikers, egal ob rechts oder links. Vor unserer Ankunft nahm Perus Präsident Ollanta Humala am Ibero-Amerikanischen Gipfel teil. In Mexiko unterstrich der Mitte-Links-Politiker, selbst aus einfachen Verhältnissen, dass die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung oberstes Staatsziel sei. Natürlich werde Peru seinen fairen Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung leisten. Aber: „Wir bezahlen schon heute für die Folgen des Klimawandels“. Darum müsse der Norden versprochene Mittel für den Grünen Klimafonds bereitstellen. Und es geht um viel Geld. Ab 2020 sollen pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar in den Süden fließen, für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Anpassung an die Klimawandel-Folgen. Genau auf diese Art der Entschädigung für historische Klimaschuld werde ich die nächsten Tage achten. Fünf Jahre vor 2020 sind erst zehn Milliarden zusammengekommen. Ein Anfang, aber genug Vertrauen schafft das bei den Verhandlungspartnern bisher nicht.
Schon haben Klimaaktivisten beim zeitgleichen Gegengipfel, der gemeinsam mit peruanischen Gewerkschaften einen „Systemwandel statt Klimawandel“ fordert, gewarnt, EU, USA und Kanada würden viel über nationale, wenig verbindliche CO2-Reduktionssziele reden, um eine Einigung ohne Biss auf der kommenden Klimakonferenz in Paris 2015 als großen Durchbruch zu feiern. Sobald die Finanzen ins Spiel kommen blieben die Regierungsvertreter aber auffällig schmallippig. Oder machen es wie Ecuador, das unserer Delegation die geplante Einreise nur wenige Tage vor Abflug versagte. Das Programm, darunter ein Besuch des Yasuní-Nationalparks sowie mit Gegnern der Ölförderung in dieser ökologisch hochsensiblen Amazonas-Zone, sei politisch einseitig, hieß es vom Außenministerium zum diplomatischen Affront. Kommen wir nicht zu den Yasuní-Schützern, dann kommen wir eben zu ihnen: Das Treffen wird in Lima nachgeholt!