Tagebuch Klimakonferenz Lima - Tag 2
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- 10 Dezember 2014
Mittwoch, 10. Dezember 2014: Atemberaubende Verhandlungen
Alte Versprechen und neue Enttäuschungen
Aufstehen früh um Sechs. Abfahrt um 7:15 Uhr. Nach einer halben Stunde Busfahrt erreicht die Delegation ihr Ziel. Das Konferenzgelände ist die größte Armee-Kaserne von Peru, auf das riesige Areal des „Gran Cuartel del Ejercito“, auch „Pentagonito“ (Kleines Pentagon) genannt, strömen an jedem Konferenztag über 18.000 Delegierte aus über 180 Ländern. Wir müssen uns akkreditieren, denn ohne „Eintrittskarte“, die jeder Konferenzteilnehmer je nach Status – Verhandler, Beobachter oder Journalist – erhält, kommt niemand in die eigens errichtete Zeltstadt. Und auch niemand wieder heraus.
Es wird ein langer Tag, soviel steht fest. Und zwar für alle. Wir nehmen an der täglichen Besprechung der deutschen Verhandlungsdelegation teil. Nach einem harmonischen Start in der ersten Woche - die COP20 läuft seit dem 1. Dezember - sind seit Dienstag, mit der Anreise vieler Staatschefs und Minister, die alten Fronten in der globalen Klimapolitik wieder aufgebrochen, gibt uns Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Umweltministerium, seinen Lagebericht. Auf der einen Seite stehen die Entwicklungsländer. Im Rahmen der G77-Organisation innerhalb der Vereinten Nationen bestehen diese Staaten darauf, dass der reiche Norden endlich seiner historischen Verantwortung gerecht wird, die er wegen seiner hohen Industrialisierung auch für den Klimawandel trägt. Zwar gab es gute Nachrichten beim Grünen Klimafonds. Die 10-Milliarden-Dollar-Marke wurde geknackt, nachdem Belgien 51,7 Millionen Euro und Australien 134 Millionen Euro zugesagt haben. Bis 2020 sollen jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Erneuerbare und Klimafolgen-Anpassung zusammen kommen.
Doch für die Entwicklungsländer ist diese Anschubfinanzierung nicht glaubwürdig. Schließlich ist noch nicht einmal geklärt, wie das Geld verwaltet und eingesetzt wird. So will Australien sein Klimageld gerne Privatfirmen auszahlen, die in Asien investieren. Dass dies australische Wirtschaftshilfe durch die Hintertür ist statt Klimagerechtigkeit zu verbessern, stört in Canberra niemanden. Wichtiger Streitpunkt: werden die Klimagelder mit der Entwicklungshilfe des Nordens verrechnet? Finnland hat erstmals zugegeben, dass die Klimahilfen als Entwicklungshilfe verbucht werden. Dabei sagt Artikel 4 der UN-Klimarahmenkonvention, dass es um „neue und zusätzliche Mittel“ geht. Und viele Länder, darunter Deutschland, haben noch nicht einmal ihre alten Versprechen eingehalten, 0,7 Prozent des Inlandsprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben. Wenn aber Klimaschutz und Armutsbekämpfung miteinander verrechnet wird, ist der Ärger aus dem Süden gut zu verstehen.
Ein anderer harter Brocken bleibt das Verfahren, wie Staaten ihre CO2-Reduktions-Ziele bis vor der Klimakonferenz in Paris 2015 melden. Was ist ein „fairer“ Anteil an der globalen CO2-Einsparung? Wie können die freiwilligen Reduktionsziele kontrolliert werden, und in welchen Abständen? Wie weit greifen Reduktions-Ziele, die im „Pariser Abkommen“ fixiert werden könnten, in die nationale Souveränität ein? Verhandelt wird selbst über das Datum, ob die Klimaziele bis März 2015 oder später „gepledged“ (gemeldet) werden können, so die UNO-Fachsprache. Die Klimaschutz-Diplomatie hat sich seit dem Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 auf den kleinsten Nenner herunterstutzen lassen. Hatte Japan 1995 schon freiwillige Meldung von CO2-Reduktionszielen und deren Kontrolle vorgeschlagen, ist 10 Jahre später nur noch die Freiwilligkeit übrig. Kontrolle: Fehlanzeige!
Die deutsche Delegation vermeldet ein erstes „Klimaopfer“. Die Rede von Umweltministerin Barbara Hendricks vor der Gipfel-Vollversammlung muss verschoben werden. Stickige Luft in den aufgeheizten Pavillons hat die SPD-Politikerin aufs Parkett geworfen. Nach dem Schwächeanfall ist Bettruhe angesagt, am Donnerstag geht’s für das Kabinettsmitglied der Großen Koalition dann weiter. Auch wir werden sie morgen treffen.
Wir Mitglieder des Umweltausschusses trotzen der Hitze. Auf einem Treffen mit Abgeordneten aus Brasilien sprechen wir über den Schutz des Amazonas-Waldes. MitarbeiterInnen von US-SenatorInnen klären uns über Pläne der Obama-Regierung auf, schrittweise Kohlekraftwerke abzuschalten. Doch von Seiten der Republikaner und Industrie kommt massiver Gegenwind. Gerichte prüfen derzeit, ob das Weiße Haus überhaupt zuständig ist. Danach amüsieren sich sympathische Umwelt-Politiker aus Dänemark höflich über die wenig energieeffiziente Hausbauweise der Deutschen, „die für die Ewigkeit sind“, statt mehr auf Holz zu setzen. Weil die Skandinavier einen gemeinsamen Strommarkt haben, und oft Windenergie aus Norwegen im Überfluss haben, wünschen sich die Dänen mehr Stromleitungen nach Deutschland. Bis 2050 wollen unsere Nachbarn im Norden eine Energieversorgung ohne Kohle, Gas und Öl: Toll!
Dass Klimaschutz auf der Straße eingefordert werden muss, das haben tausende Peruaner vom Alternativ-Gipfel der Völker auf der laut Veranstalter „größten Umweltdemo in der Geschichte“ des Andenlandes unter Beweis gestellt. Druck von Unten tut Not. Denn wieder einmal droht eine Klimakonferenz die dringenden Fragen der Menschheit auf morgen zu verschieben. Für die Zukunft der Weltgemeinschaft wäre das fatal.
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