Die Weichen im Verkehr umstellen für Klimaschutz und soziale Perspektiven
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- 17 August 2010
Es ist dringend notwendig, dass mit einer zielgerichteten Politik die Weichen im Verkehrsbereich umgestellt werden. Vor zwei Tagen wurde im Ausschuss der Bericht über die Verkehrsinvestitionen von 2003 bis 2008 präsentiert. Der Berichterstatter lobte, dass viele Milliarden verbaut worden sind, und bedauerte, dass nicht alle Töpfe ausgeschöpft werden konnten. Ich meinte, dass ja nicht das Geldausgeben an sich von Vorteil sei, und fragte nach den Zielen, worauf der zuständige Staatssekretär erwiderte, dass es die Leute, die bauen würden, glücklich mache, wenn sie Beton in die Landschaft gießen könnten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP Gero Storjohann (CDU/CSU): Das war richtig zitiert!)
- Genau. Sie freuen sich ebenfalls. Ich dachte, ich höre nicht recht. Aber tatsächlich hat diese Ziellosigkeit leider System.
Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen beruht auf einer Prognose, die das politische Nichtstun und einen viel zu niedrigen Ölpreis voraussetzt. Nach dieser Prognose wird der Straßengüterverkehr bis 2025 um 80 Prozent steigen. Dies geschieht auf Kosten der Bahn.
(Patrick Döring (FDP): Stimmt ja nicht!)
Auch der motorisierte Individualverkehr werde wachsen und die Eisenbahn bei einem Anteil von 7 Prozent stecken bleiben. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie diesem vermeintlichen Bedarf hinterherbetonieren, dann verschärfen Sie alle Krisen, mit denen wir es derzeit zu tun haben, zuallererst und vor allem die Umwelt- und Klimakrise, die für die Menschheit, für uns alle, zur Überlebensfrage wird. Fakt ist, dass in den vergangenen 20 Jahren die Klimabelastung durch den Verkehr in Deutschland um 12 Prozent zugenommen hat und das, obwohl die Motoren viel effektiver und schadstoffärmer sind. Das Problem ist: Der Lkw-Verkehr hat sich seither fast verdoppelt. Es werden dreimal so viele Güter durch die Luft geflogen. In einem Joghurtbecher stecken heute 50 Prozent mehr Transportkilometer als vor 30 Jahren, und eine Person legt eine doppelt so lange Wegstrecke zurück. Ist das ein Vorteil? Immer mehr, immer höher, immer weiterer Verkehr? Das verbessert doch nicht die Lebensqualität.
(Patrick Döring (FDP): Die Länder, in denen die Menschen eingesperrt worden sind, sind gescheitert, Frau Kollegin!)
- Das hat doch mit der Lebensqualität und dem Joghurt nichts zu tun. Entschuldigung!
(Patrick Döring (FDP): Individuelle Freiheit schon! Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Zulasten der Umwelt!)
Die Lebensqualität wird nicht verbessert, eher das Gegenteil ist der Fall: 44 Prozent der Menschen in Europa leiden unter zu viel Autoverkehr. Während sich die Konzerne die Gewinne aufgrund der Globalisierung in die Tasche stecken, muss die ganze Gesellschaft die Folgen von Luftverschmutzung, Lärm und Naturzerstörung sowie die Folgen von Lohndumping tragen.
Nun hat die Bundesregierung im Kioto-Protokoll zugesagt, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren. Im Verkehrsbereich ist davon überhaupt nicht die Rede. Eine Strategie aber zur Vermeidung von Verkehr ist längst überfällig und genauso eine zur Verlagerung von Verkehr auf den Fußweg, auf das Fahrrad, auf den öffentlichen Nahverkehr und auf die Eisenbahn.
(Beifall bei der LINKEN)
Allerdings muss man, wenn man dieses Ziel verfolgt, wahrscheinlich erst das Führungspersonal der Deutschen Bahn AG austauschen.
(Beifall bei der LINKEN - Martin Burkert (SPD): Schon wieder!)
Der Vorstand, Herr Dr. Karl-Friedrich Rausch, der übrigens von der Lufthansa kommt, verlangt, die Veränderung des Modal Splits, also der Aufteilung zwischen den Verkehrsträgern, zulasten eines Verkehrsträgers in Klammern: der Straße zu vermeiden. Er will die gezielte Förderung des Güterverkehrs als Wachstumsmotor, übrigens gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Automobilindustrie. Das heißt, er will in die gleiche falsche Richtung weiterfahren. Herr Ramsauer, Sie sollten dafür sorgen, dass dieser Herr zusammen mit den anderen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, die Spitzenmanager von Beton-, Energie-, Auto- und Flugzeugkonzernen waren oder sind, seinen Hut nimmt. Denn wir brauchen an der Spitze des größten öffentlichen Unternehmens Leute, die das Gemeinwohl im Sinn haben, mehr Verkehr auf die Schiene bringen und die Bahn für alle weiterentwickeln.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Bahn hat schon heute - das haben wir gehört - eine mit Abstand bessere Umweltbilanz als Kraftfahrzeuge oder Flieger, obwohl derzeit noch viel zu viel Kohlestrom verfahren wird und es keine Abwrackprämie für Diesellokomotiven gegeben hat. Aber Bahnstrom könnte aus regenerativen Energiequellen kommen. Elektromobilität findet als Massenverkehr auf der Schiene statt. Diese muss ausgebaut werden. Wenn man die Klimakrise entschärfen will, dann ist ziemlich klar, wohin die Reise gehen muss. Das gilt auch für die schwelende Krise im Hinblick auf die Verteilungsungerechtigkeit, mit der die soziale Basis in den Gesellschaften weltweit, aber auch hier untergraben wird.
Selbst im hochmotorisierten Deutschland besitzt ein Viertel der Haushalte kein Auto, die meisten, weil sie es sich nicht leisten können. Jetzt sehen wir, dass seit Wochen Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko ausströmen, weil BP das Risiko einer Tiefseebohrung eingegangen ist. Die vorhandenen Ölreserven auf diesem Planeten werden immer schwerer zugänglich, die Förderung wird riskanter und teurer, und das wird sich unter anderem in drastisch steigenden Spritpreisen bemerkbar machen.
Alle, denen das Autofahren zu teuer ist oder die darauf verzichten wollen, sind auf ein gutes öffentliches Nah- und Fernverkehrsangebot angewiesen.
(Patrick Döring (FDP): Das haben wir doch!)
Daran mangelt es vielerorts, vor allem im ländlichen Raum.
(Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring (FDP): Europäisch das beste Bahnsystem!)
Das wäre ein wichtiges Ziel der Verkehrspolitik: Sie muss dafür Sorge tragen, dass in einer mobilen Gesellschaft niemand abgehängt wird.
Zurzeit stecken wir mitten in der Finanzmarkt- und Schuldenkrise, in der jetzt sogenannte Sparprogramme erzwungen werden. Diese Krise könnte im Verkehrsbereich als Chance genutzt werden, als Gelegenheit, auf die Bremse zu treten, damit man wenden kann:
Verzichten Sie auf den Baubeginn von Autobahnabschnitten und auf fragwürdige Großprojekte, bevor nicht ein Entwicklungsplan auf dem Tisch liegt, in dem die ökologischen und sozialen Ziele der Verkehrspolitik festgelegt sind! Bis dahin ist kleckern statt klotzen das Gebot der Stunde.
(Beifall bei der LINKEN)
Streichen Sie als Erstes die Straßenbauprojekte, die am wenigsten Nutzen und am meisten ökologische Schäden bringen! Die Umweltverbände haben eine Liste erstellt. Damit würden in den nächsten Jahren 30 Milliarden Euro gespart.
Für den Neu- und Ausbau von Schienenwegen müssen jährlich mindestens 2,5 Milliarden Euro von der Straße auf die Schiene umgeschichtet werden.
Stocken Sie die Regionalisierungsmittel auf, die den Schienenpersonennahverkehr finanzieren,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
und sorgen Sie dafür, dass in diesem Bereich mehr investiert wird!
(Uwe Beckmeyer (SPD): Das ist aber nicht kleckern, das ist klotzen!)
Wir wissen, dass die Fahrgastzahlen um ein Vielfaches steigen, wenn das Angebot gut und zuverlässig ist.
Legen Sie ein Sonderprogramm „Barrierefreiheit“ auf, damit in naher Zukunft tatsächlich alle die öffentlichen Bahnen und Busse nutzen können, auch diejenigen, die alt sind, im Rollstuhl sitzen oder einen Kinderwagen schieben!
(Beifall bei der LINKEN)
Dazu gehört auch, dass an den 3 500 herrenlosen Bahnhöfen im Land wieder Menschen am Schalter sitzen.
Zu guter Letzt weise ich darauf hin: Es gibt keinen Beweis dafür, dass hierzulande die wirtschaftliche Entwicklung zwangsläufig mit dem Bau von Straßen verbunden ist. Es gibt Beispiele dafür, und genauso gibt es Gegenbeispiele. Aber es gibt eine aktuelle Studie der Universität Wien, in der nachgewiesen wird, dass man, wenn man 1 Milliarde Euro öffentlicher Investitionen in die Schieneninfrastruktur steckt, eineinhalbmal so viel Arbeitsplätze schafft, wie wenn man sie in den Autobahnbau steckt. Wenn man die gleiche Summe benutzt, um Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu organisieren, dann kann man sogar zweieinhalbmal so viel gute und sinnvolle Arbeitsplätze schaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
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