Wir müssen anders und besser verkehren!

Rede von Sabine Leidig am 11.11.2009.
Debatte zur Regierungserklärung, Bereich Verkehr                 

Bundesminister Ramsauer will als "Mann der Straße" keinen Wandel in der Verkehrspolitik: Was der Koalitionsvertrag zum Verkehrs sagt und aus seinem Ministerium kommt ist ein Angriff auf den Schienenverkehr, räumt den Individualverkehr Vorrang vor dem öffentlichen Verkehr ein und fördert die Privatwirtschaft zu Lasten öffentlicher Betriebe.

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich spreche zum Verkehrsbereich. Ich schicke vorweg, dass ich bei der Rede des Umweltministers Röttgen von den warmen Worten, die ich gehört habe, beeindruckt war. Mit Blick auf den Bereich Verkehrspolitik erscheinen sie mir aber extrem hohl.
(Beifall bei der LINKEN)
Die FAZ überschreibt ihr Portrait von Verkehrsminister Ramsauer mit „Der Mann der Straße“. Ein paar Zeilen weiter ist zu lesen:
Das Echo auf seine Ernennung ist … nicht unfreundlich. Am größten ist die Freude in der Autolobby.
(Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Genau!)
Nach dem Studium des Koalitionsvertrages muss man sagen: Die FAZ hat leider recht. Herr Ramsauer, es stellt sich die Frage, wessen Bedürfnisse bei Ihrem Politikansatz tatsächlich im Mittelpunkt stehen. Mein Eindruck ist: Es sind die Bedürfnisse der Fahrer großer Dienstwagen. Dem will ich angesichts der Kürze der Zeit nicht weiter nachgehen.
Ich möchte Ihren Blick auf eine andere Seite der Verkehrsmedaille lenken. Die Regierung plant einen mehrfachen Angriff auf den öffentlichen Schienenverkehr. Erstens sollen private Unternehmen im Nahverkehr Vorrang vor kommunalen Eigenbetrieben bekommen.
(Patrick Döring (FDP): Das ist geltendes Recht, Frau Kollegin!)
Zweitens wird die unbegrenzte Zulassung von Busfernlinien geplant.
(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Wo ist denn da der „Angriff“?)
Drittens heißt es im Koalitionsvertrag:
Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten
der Deutschen Bahn
einleiten.
(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Was hat das denn mit „Angriff“ zu tun?)
Was das alles bedeutet, kann man in unseren Nachbarländern, zum Beispiel in Großbritannien, ganz konkret beobachten. Dort konkurrieren Busfernverkehre mit privatisierten Eisenbahngesellschaften und Billigfliegern, sie liefern sich einen Dumpingwettbewerb, die Löhne sinken, Qualität, Fahrkomfort und Sicherheit werden spürbar schlechter, schließlich steigen die Preise, und das Schienennetz schrumpft. Das ist die Realität, die man dort beobachten kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Richtung, die in Ihrem Koalitionsvertrag angedeutet wird und eingeschlagen werden soll, wird zu mehr verkehrtem Verkehr führen, zu noch mehr Umwelt- und Klimabelastungen, und die Tendenz, die bereits für die Jahre 1990 bis 2007 so zu bewerten ist, weiterführen. Das „Menschheitsgut“, von dem der Herr Umweltminister gesprochen hat, wird mutwillig weiter zerstört.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke fordert: Wir müssen anders, wir müssen besser verkehren!
(Beifall bei der LINKEN)
Notwendig und übrigens auch volkswirtschaftlich sinnvoll an dieser Stelle bitte ich die Kollegen von der FDP, ein Ohr zu öffnen wäre ein langfristiges, umfangreiches öffentliches Programm zum Ausbau und zur Weiterentwicklung des öffentlichen Schienenverkehrs für Menschen und für Güter.
Damit könnten wir mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Erstens. Es wäre ein wesentlicher Beitrag zur CO2-Reduktion. Denn der Verkehrsbereich ist der einzige Wirtschaftsbereich, in dem die CO2-Ausstöße steigen. Auch dies sollte in Kopenhagen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Zweitens. Wir könnten wirklich gute Beschäftigungsperspektiven für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Automobil- und Flugzeugindustrie schaffen. In diesen Industrien gibt es weltweit Überkapazitäten. Sie glauben ja selbst nicht, dass man alle Arbeitsplätze in der Automobilindustrie erhalten kann.
Übrigens macht uns unser Nachbarland Österreich vor, wie man mit solchen Investitionsprogrammen volkswirtschaftlich sinnvoll umgeht. In Österreich wird genau gerechnet: 1 Milliarde Euro Einsatz bringt 17 000 neue Arbeitsplätze, und mit 1 Euro Einsatz wird eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 2 Euro erreicht. Es macht also Sinn.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens brauchen wir ein europäisches Konzept. Wir brauchen bei den Verkehrskonzepten Kooperation. Wir brauchen weder auf der Schiene noch sonst irgendwo Wettbewerb, sondern wir brauchen gemeinsame Lösungen für sinnvolle Transporte weltweit.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Verkehrsbereich ist ein Bereich, in dem es um die Lebensqualität der Menschen geht. Die Art und Weise, wie man von Ort zu Ort kommen kann, ist entscheidend dafür, wie sich die Menschen bewegen. Wir brauchen einen besseren öffentlichen Nahverkehr. Wir brauchen Bahnhöfe, an denen man sich aufhalten kann,
(Beifall bei der LINKEN)
in denen man sich nicht beängstigt fühlen muss, in denen man auch einmal Zuflucht findet. Wir brauchen vor allen Dingen weniger Autos und weniger Lkws in den Städten und Gemeinden. Das würde die Lebensqualität unheimlich vieler Menschen enorm verbessern.
(Beifall bei der LINKEN)
Schließlich ist auch der Verkehrsbereich ein Bereich, in dem es um Demokratie geht. Es geht darum, den Druck, die Macht der Automobil- und Öllobby zurückzudrängen und die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen an Mobilität in den Mittelpunkt zu stellen. Wir müssen da mehr Demokratie wagen. Es gibt übrigens kaum ein politisches Projekt, bei dem die Mehrheit der Bevölkerung so klar positioniert ist wie bei der Privatisierung der Bahn.
(Beifall bei der LINKEN)
78 Prozent mehr als eine Dreiviertelmehrheit lehnen eine Privatisierung der Bahn ab und wünschen sich eine gute Bahn in öffentlicher Hand. Wenn man die Meinung der Leute ernst nimmt, schaffen wir vielleicht, was sich die Frau Bundeskanzlerin gewünscht hat: dass die Bürgerinnen und Bürger den Staat besser finden.
Es geht auch darum, den Schienenbereich weiterzuentwickeln und ihn besser zu gestalten. Dafür brauchen wir aber keinen grünen Tisch und keine Gespräche mit Lobbyistenvereinigungen, wir müssen nur zuhören, was die Leute wollen. Die Bürgerinnen und Bürger, die die Verkehrsmittel benutzen, wissen genau, wie die Verkehrsmittel sein müssen, damit sie ihren Bedürfnissen entsprechen. Auch die in den Verkehrsbetrieben Beschäftigten wissen ganz genau, was man verbessern kann. Das ist der Ansatzpunkt für eine demokratische und menschengerechte Entwicklung des Verkehrssektors.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

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