Stunde der Wahrheit
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- 31 Oktober 2011
Im Untersuchungsausschuss Gorleben haben Zeugen der Koalition bestätigt, dass die vom Bund beauftragte KEWA keinerlei Untersuchungen zu Gorleben unternommen hat
Zehn Stunden Zeugenvernehmung ohne Pause haben sich gelohnt: Das Märchen der KEWA-Standortauswahl, bei der Gorleben an der Spitze gestanden haben soll, ist endgültig vom Tisch. Der Zeuge Dr. Adalbert Schlitt sagte eindeutig: „Es hat nie Untersuchungen zu Gorleben durch die KEWA gegeben.“ Wer könnte es besser wissen als dieser Zeuge, denn Dr. Adalbert Schlitt war Geschäftsführer der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (KEWA), die vom Bund mit einer Standortsuche beauftragt war. Damit ist eine von der CDU beschworene "KEWA-Nachbewertung" aus dem Sommer 1976 endgültig ins Reich der Lügengeschichten verwiesen worden.
Ein Kartenhaus der Union ist zusammengestürzt. Der Historiker Tiggemann, auf den diese Erfindung zurückgeht, kann einpacken. Auf die Nachfrage von Jens Petermann, Mitglied der LINKEN im Untersuchungsausschuss, nach einem Auftrag für eine „Nachuntersuchung“ erklärte Schlitt: „Wenn es einen solchen Auftrag für eine Standortuntersuchung gegeben hätte, dann hätte ich ihn unterschreiben müssen, es hat aber in meiner Zeit bis zum 31.12.1976 keinen solchen gegeben.“
Auch danach nicht, denn die KEWA wurde kurze Zeit danach an die PWK (die Energieversorger) verkauft. Und ab dem 22.2.77, der Benennung Gorlebens durch den Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, war ja sowieso schon entschieden. Schlitts Gedächtnis hat ihn nicht im Stich gelassen: Die Bohrungen in Wahn, Weesen-Lutterloh und Lichtenhorst waren am 10. August 1976 auf Weisung des Matthöfer-Ministeriums (BMFT) gestoppt worden. Dies war seine Aussage nach einem Anruf von Albrecht geschuldet, der den Protesten vor Ort nachgab. Denn es waren Proteste aus den eigenen CDU-Reihen. Danach packte die KEWA ihre sämtlichen Bohrgeräte ein und nicht wieder aus. Schlitt erinnert sich, dass der Salzstock Weesen-Lutterloh durchaus gute Ergebnisse gehabt hätte und bedauerte, dass man dort und an den anderen beiden Standorten fünf Millionen D-Mark in den Sand gesetzt hatte.
„Von so einer Studie ist mir nichts bekannt“
Frühmorgens hatte der ehemalige Oberbergbaudirektor Jürgen Schubert auf eine KEWA-Studie hin befragt, bei der Gorleben vorgekommen sein soll, ausgesagt, ihm seien nur Studien bekannt, aus denen die drei bekannten Standorte Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst hervorgegangen seien: „Von einer Studie, die sich auf andere Standorte bezog, ist mir nichts bekannt.“ Auch er bestätigte, dass Gorleben zwar frühzeitig unter vielen anderen Standortmöglichkeiten zu Beginn der 1970er Jahre „im Gespräch“ gewesen war, man aber rasch davon Abstand nahm wegen seiner Lage im Ferien- und Erholungsgebiet. Schlitt sah hier als Grund die Nähe zur DDR.
Schubert, der für das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld im niedersächsischen interministeriellen Arbeitskreis (IMAK) saß, sagte, im IMAK habe Gorleben erstmals in einer Sitzung am 1.12.1976 eine Rolle gespielt. Die KEWA (und damit der Bund) war da nicht beteiligt. Dies bestätigt auch das Dokument aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium, das Kornelia Möller, Mitglied der LINKEN im Untersuchungsausschuss, zitierte und aus dem hervorgeht, dass Niedersachsen im Alleingang Gorleben ausgewählt hat. Der IMAK entwickelte ein Punktesystem, bei dem Gorleben an erster Stelle lag. Schubert betonte, dass die Kriterien, die angelegt wurden, sich auf ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) bezogen und nicht allein auf ein Endlager. Das wichtigste Kriterium war die Besiedelungsdichte, das damals für ein „Umwelt- und Sicherheitskriterium“ gehalten wurde.
Schubert berichtet, dass dem Oberbergamt die Gasbohrungen auf der DDR-Seite bekannt waren, auch die explodierte Bohrung von 1969. In den Akten findet sich sogar eine Karte aus dem Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld, auf der zwei Bohrungen bei Lenzen und eine Bohrung bei Wootz direkt an der Elbe eingezeichnet sind. Man sei aber im Oberbergamt davon ausgegangen, dass die DDR kein Gas fördert und habe daher keine Gefährdung gesehen.
Die Entscheidung des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) für Gorleben (am 22.2.1977) stand einer Intervention des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) entgegen, der elf Tage zuvor noch in einem Vier-Augen-Gespräch versucht hatte, Albrecht von Gorleben abzubringen und ihn doch auf den von ihm präferierten Standort Wahn einzuschwören. Ob das Festhalten an Gorleben letztlich ein Versuch Albrechts war, das NEZ ganz von Niedersachsen abzuwenden, weil er damit rechnete, dass der Bund Gorleben niemals akzeptieren würde, kann vermutlich nie geklärt werden.
Informativ waren noch einige weitere Aussagen Schlitts: Nach Professor Mandel, damaliges Vorstandsmitglied der RWE, befragt, berichtet Schlitt: Mandel sei für sein damals führendes Energieversorgungsunternehmen (EVU) der Promoter der Kernenergie gewesen, er war auch im Deutschen Atomforum (wie damals übrigens auch alle Parteien) und hat für die EVU viele Gespräche geführt. Die Wiederaufarbeitung sei allerdings für die EVU ein fachfremdes Gebiet gewesen. Das Engagement der Chemie-Industrie (Bayer, Hoechst, NUKEM u.a.) für die Wiederaufbereitung erlahmte bald, als klar wurde, in Deutschland werde man nicht wie in Frankreich und England (wo die Wiederaufbereitung wegen der Plutonium-Herstellung militärische Ambitionen bediente) die extrem teuren Anlagen komplett oder größtenteils staatlich finanzieren. Schlitt erinnert sich, dass in Frankreich und England die Wiederaufbereitung „zu Dumping-Preisen“ angeboten wurde. Deutschland konnte da nicht mithalten.
„Seid froh, dass ihr überhaupt Proben bekommt“
Beim Zeugen Jörg Martini ging es hauptsächlich um den Schachtunfall am 12.05.1987. Er war als Bauingenieur bei der Firma Thyssen-Schachtbau einige Jahre zuvor an einer Studie beteiligt gewesen, die 1981/82 erstellt wurde zum Thema „Vergleichende Stabilitätsuntersuchung von Schächten im Salz“. Diese Studie wurde der DBE übergeben, die aus dieser Studie mehrere wesentliche Details herausstrich. Zudem waren Thyssen-Schachtbau nicht repräsentative Bohrkerne übergeben worden, sondern nur solche, die nur knapp 10 Prozent der Bohrstrecke repräsentierten. Auf Rückfragen wurde gesagt: Seid froh, dass ihr überhaupt Proben bekommt. „Unsere Studie entsprach letztlich nicht den gewünschten Ergebnissen,“ so Martini. Die Laugenzuflüsse und Klüftigkeit des Deckgebirges fand Martini damals bereits als äußerst gefährlich anzusehen. Als Martini im Oktober 1986 seine Bedenken gegenüber der Frostwand und der Methode des Abteufens äußerte, sagte der DBE-Betriebsleiter Grübler: „Wie wir teufen und wie schnell wir teufen ist eine politische Frage. Da sind Sie gar nicht gefragt.“ Als diese Bemerkung Eingang fand in ein Protokoll, musste sie auf Anweisung im nachhinein entfernt werden. Als man bei Problemen während des Schachtbaus anfing, Stahlbetonringe als Behelfslösung einzusetzen, sei ihm, Martini, klar gewesen, dass diese dem Gebirgsdruck nicht standhalten, sondern abknicken „wie Streichhölzer“. Er selbst war bereits im März 1987 schwer verletzt worden und erlebte den Schachtunfall vom 12. Mai vom Krankenbett aus. Man habe „kopflos“ und „in Panik“ ein Konzept entworfen, das am Ende zum Verhängnis wurde. Das Problem sei vor allem der Zeitdruck und der politische Druck gewesen. Man habe die Frostwand für das Gefrierverfahren nicht genügend aufgebaut. Außerdem wurde außerdem versäumt, Sicherungen einzubauen, zum Beispiel Stahlseile, die herbfallende Teile hätten auffangen können. Ein Stahlring löste sich und fiel herab. Ein Bergmann-Kollege starb, sechs weitere wurden verletzt. Als Martini sich daraufhin weigerte, nochmals einzufahren, musste er seinen Hut nehmen.
Die Versuche des CDU-Obmanns Grindel, die Glaubwürdigkeit des Zeugen Martini in Abrede zu stellen, sind mitunter grenzüberschreitend und ehrverletzend. Auch bei den anderen Zeugen wenden die Befrager aus der Union inquisitorische Manöver an, um sie aus der Ruhe zu bringen und sie zu einer anderen Aussage zu bewegen. Doch die Union hat in diesen zehn Stunden Untersuchungsausschuss nichts zu lachen: Sie ist der Lüge überführt und wird diesen Tag nicht so schnell vergessen.
Der Untersuchungsausschuss wendet sich ab November thematisch den Jahren 1996/97 zu, in denen das Erkundungskonzept entscheidend geändert wurde.