Gorleben nicht untersuchungswürdig
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- 23 November 2011
Der Untersuchungsausschuss Gorleben hat sich den 1990er Jahren zugewandt. Auch manche Entscheidung von Frau Dr. Merkel wird nun neu beleuchtet.
An die Jahre um 1995 können sich der Zeuge Henning Rösel, bis 2008 Vizepräsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), und der Sachverständige und Geologe Dr. Detlef Appel gut erinnern. Auch wenn sie in Bezug auf die Veränderungen am Erkundungskonzept, die 1996/97 vorgenommen wurden, unterschiedlicher Meinung sind. Wegen fehlender Salzrechte hat man sich damals zu einer eingeschränkten Erkundung entschlossen – bislang ungeklärt ist, ob dies auf legale Weise geschah, also mit den notwendigen veränderten Haupt- und Sonderbetriebsplänen oder als „Schwarzbau“.
Der Graf und sein Sperrriegel
Eine gründliche Erkundung des gesamten Salzstocks, wie man sie von Anfang an beabsichtigte, war ohne die Salzrechte, vor allem die des Grafen von Bernstorff und der evangelischen Kirchengemeinden, deren Grundstücke „wie ein Sperrriegel“ über dem Salzstock Gorleben liegen, unmöglich. Viele Jahre lang hatte man verhandelt, bot dem Grafen Millionensummen für die Überlassung der Salzrechte, doch der ließ sich nicht kaufen. Man prüfte die Möglichkeiten zu enteignen, eine Prozessschlacht zwischen dem Grafen und dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das die Enteignung beantragte, begann. Doch juristisch stand nur das Bergrecht zu Verfügung und das ließ eine Enteignung zum Zwecke der Erkundung letztlich nicht zu. So sahen es jedenfalls die niedersächsischen Bergämter. In Niedersachsen regierte seit 1990 nicht mehr Schwarz-Gelb unter Ernst Albrecht (CDU) sondern Rot-Grün unter Gerhard Schröder (SPD) mit Umweltministerin Monika Griefahn (SPD). Mag sein, dass der Wechsel der politischen Windrichtung auch die Zurückhaltung der Bergämter beeinflusste, die eine Erkundung unter den Grundstücken des Grafen und der Kirche nicht genehmigten. „Wir waren mitnichten der Meinung, dass die Bergämter Recht hatten“, so Rösel. Die Kohl-Regierung klagte dann sogar gegen die Bergämter. Ohne Erfolg.
Das Atomrecht hingegen, das Enteignungen ermöglichen würde, wollte man nicht zur Anwendung bringen, weil man zum einen argumentierte, man erkunde ja nur und baue noch kein Endlager. Zum anderen scheut man das Atomrecht in Gorleben bis heute auch deshalb, weil man dafür ein langwieriges und zeitaufwändiges Planfeststellungsverfahren einleiten müsste, das einen hohen Grad an Bürgerbeteiligung vorschreibt. Mit dem alleinigen Bergrecht hatte man vor den Einwänden der Bürger ersteinmal seine Ruhe.
Risiko in Kauf genommen
Die eingeschränkte Erkundung aufgrund fehlender Salzrechte zwang indes zu riskanten Wegen, vor denen die eigenen Fachleute aus dem BfS durchaus warnten. Von den Sicherheitsbedenken war das wichtigste, bei der Umfahrung der besagten Grundstücke den Hauptanhydrit, eine poröse, wasserführende Gesteinsschicht, durchbohren zu müssen, obwohl dieser von den Salzgeologen normaler Weise gemieden wird wie der Teufel das Weihwasser. „Wir haben die Risiken bewusst in Kauf genommen“, so Rösel. Er sieht aber dabei keinerlei Konzeptänderung. Man entschied damals, auf die Salzrechte, die vor allem von den Schächten aus Richtung Südwesten aber auch innerhalb des Nordostens insgesamt circa 60 Prozent des geplanten Erkundungsbereichs ausmachten, vorerst zu verzichten. Ein zweifelhaftes Unterfangen, findet der Geologe Dr. Appel, denn ein Salzstock müsse umfassend untersucht werden und fehlende Salzrechte seien sicherlich kein Grund, auf die umfassende Erkundung zu verzichten. Schon gar nicht, wenn man weiß, wie kompliziert die geologischen Verhältnisse in Gorleben seien. Wenn man nicht erkunden könne sei es schwer, einen Eignungsnachweis zu führen, so Appel. Und schon zu Beginn der 90er Jahre warnten Berichte an das Bundesumweltministerium, ohne eine Erkundung des Südwestflügels sei ein Planfeststellungsverfahren „nicht durchstehbar“.
Die Energieversorger wollten im übrigen Mitte der 90er einen Erkundungsstopp – aus Kostengründen. Sie wollten ersteinmal Rechtssicherheit erlangen und dann weitererkunden. Aber Bonn machte da nicht mit – der Bund wollte auf jeden Fall zügig weitererkunden.
Die verhängnisvolle Studie
Seit Anfang der 90er Jahre wurde verstärkt über Castor-Transporte diskutiert. Bis heute ist niemandem zu erklären, wie es zusammenpassen soll, dass man „völlig ergebnisoffen“ erkunde und gleichzeitig ausgerechnet vor dem „Erkundungsbergwerk“ hunderte Castoren abstellt, die allein schon durch ihre Präsenz die Macht des Faktischen besitzen. Anwohner kämpfen seither mit einer überhöhten Strahlenbelastung. Währenddessen stieß man „unten“ im Bergwerk beim Schachtbau und dem Auffahren von Strecken auf eine schwierige geologische Situation. Es gab eine Debatte über alternative Standorte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) wurde beauftragt, zwei Studien über „alternative Standorte“ anzufertigen: Sie prüfte Ton- und Kristallingesteine (1994) und andere Salzformationen (1995). Vor allem die „Salzstudie“ von 1995 ist ausgesprochen interessant. Sie betrachtete von BGR-Seite erstmals auch Salzformationen in den damals „neuen“ Bundesländern – aber auch weiterhin solche in den „alten“ Bundesländern. Gorleben berücksichtigte man nicht. Dorothée Menzner, die Obfrau der LINKEN im Untersuchungsausschuss, befragte nun den Geologen Dr. Appel nach dieser Studie. Die BGR hatte aus 43 Salzstrukturen in einem ersten Schritt 14 ausgewählt, von denen die Mehrzahl ausschieden. Der weiteren Untersuchung würdig empfahl die BGR die vier Salzstöcke Waddekath, Wahn, Zwischenahn und (mit Vorbehalt) Gülze-Sumte.
Dr. Appel erinnert sich gut an diese Studie. Die Gruppe Ökologie mit ihm und seinem Kollegen Jürgen Kreusch hatte damals die Kriterien der BGR-Salzstudie von 1995 auf Gorleben angewandt. Ergebnis: Gorleben wäre als „nicht untersuchungswürdig“ eingestuft worden. Vor allem der schlechte Aufbau des Deckgebirges hätte zum Ausschluss Gorlebens geführt, weil es weder geeignet den Salzstock vor Wasser von oben zu schützen, noch von unten kommende Radionuklide von der Biosphäre fernzuhalten. Die Autoren kamen damals zu der Schlussfolgerung: „Wenn die Bewertungsgrundlagen der BGR (1995a) zum Deckgebirge gültig bzw. aussagekräftig sind, dann führen sie folgerichtig zu einer negativen Bewertung von Gorleben. Soll der Standort dennoch weiter erkundet werden, so geschieht dies ohne Rücksicht auf die aktuell gültigen Bewertungsgrundlagen.“ Gorleben wäre nicht einmal in die Spitzengruppe der Salzstöcke geraten.
Frau Dr. Merkel persönlich, damalige Bundesumweltministerin, stellte sich am 28.08.1995 vor die Presse und behauptete, es gäbe keinen Grund, andere Standorte zu erkunden: „Gorleben bleibt erste Wahl.“ Eine glatte Lüge, hätte sie Gorleben mit dem gleichen Maß gemessen.