Flapsige Worte von Ministerin Merkel
- Details
- 10 Februar 2012
Die vergangene Woche stand unter dem Licht eines Vorwurfs, den DIE LINKE gegen die Ex-Bundesumweltministerin und heutige Bundeskanzlerin Merkel erhebt: Sie habe 1995 bewusst nicht die Wahrheit gesagt, als sie vor die Presse trat und verkündete: „Gorleben bleibt erste Wahl“. Anlass für diese Presseerklärung waren zwei Studien, die alternative Standorte untersucht hatten. Gorleben kam darin gar nicht vor. Brisante Aktenfunde legen nahe, dass die Öffentlichkeit damals bewusst manipuliert wurde.
Daher hatte sich die LINKE entschlossen, Anfang der Woche die Presse darüber zu informieren. Denn das Pikante an dieser Geschichte ist: Wäre Gorleben damals mit untersucht worden, wäre es aufgrund seines ungeeigneten Deckgebirges, das von der „Gorlebener Rinne“ durchzogen wird, ausgeschieden. Dies haben die Geologen Dr. Detlef Appel und Jürgen Kreusch herausgefunden, die die Kriterien der BGR auf Gorleben anwandten. Dr. Appel erläuterte dies am Dienstag vor der Presse. Die taz, Neues Deutschland und NDR berichteten.
Die damalige Bundesumweltministerin entschloss sich offensichtlich, mit dem Thema offensiv umzugehen. Daher suggerierte sie in ihrem Pressestatement am 28.08.1995, Gorleben sei mit untersucht worden und gehe aus der Untersuchung als „erste Wahl“ hervor. Dass aufgrund der geologischen Mindestanforderungen das Gegenteil der Fall wäre, verschwieg man.
An diesen Vorgängen beteiligt war der Zeuge, der am Donnerstag im Untersuchungsausschuss befragt wurde. Dr. Manfred Bloser war fast 30 Jahre lang mit Endlagerfragen befasst, allein über 20 Jahre im Bundesumweltministerium, vormals Bundesinnenministerium. Er war 1995 Referatsleiter RS III 6 „Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle“ und besaß die Fachaufsicht über das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).
Nach der dubiosen Presseerklärung der damaligen Ministerin Merkel vom August 1995 befragt, zuckt der Kernphysiker Dr. Bloser mit den Schultern: Der Satz „Gorleben bleibt erste Wahl“ sei eine „flapsige“ Formulierung und stamme nicht von ihm. Es sei zwar üblich gewesen, dass das Fachreferat Entwürfe für solche Pressemitteilungen machte, aber was letztlich daraus gemacht wurde, wer dann was da reinschrieb, sei nicht in seiner Macht gestanden. Auch kann er sich erinnern, dass die BGR sich dagegen verwahrte, solche Vergleiche aufgrund der vorgelegten Studien zu ziehen. Die BGR habe erklärt: „Das haben wir so nicht gesagt.“ Bei Bloser habe das Telefon nach der Presseerklärung nicht still gestanden. Diesen Vergleich zu ziehen, wie es Merkel getan habe, sei „Unsinn“ gewesen, so Bloser.
Der redefreudige Zeuge kann aber, angesprochen auf die Kriterien, die insbesondere der „Salzstudie“ zugrunde lagen, die Krux an der Sache nicht erkennen. Dass das Deckgebirge in Gorleben „nicht optimal“ sei, hält er nicht für ein Problem. Bloser versteigt sich sogar zu der Aussage, das Deckgebirge sei nur eine kleine Schicht oberhalb des Salzes, im Grunde nur wichtig, wenn man oberirdisch lagere, damit im schlimmsten Fall nichts von oben durchsickern kann. Bloser hält das Salz für die eigentliche Barriere. Damit hat er zwar recht, aber das Salz sollte nach den Maßstäben der BGR von 1995 beileibe nicht die einzige geologische Barriere sein. Das blendet Bloser aus.
Auch als er von der LINKEN-Abgeordneten Johanna Voß mit der Kritik von Dr. Appel konfrontiert wird - den er wie er betont, als Wissenschaftler sehr schätze - kommen bei Bloser keine Zweifel auf: Das Deckgebirge sei nicht entscheidend, da sei sich die Fachwelt mehrheitlich einig. Mit „Fachwelt“ meint Bloser vermutlich einzig die BGR, die paradoxer Weise heute tatsächlich genau dies behauptet: Man könne an keinem der in Frage kommenden Standorte auf eine Million Jahre eiszeitliche Rinnen oder ein Verletzen des Deckgebirges ausschließen. Dieses Risiko müsse man also sowieso einkalkulieren, so sinngemäß die BGR heute.
Damit ist aber nicht erklärt, weshalb man dann überhaupt in der Salzstudie vorhandene Tonschichten als Positivkriterium aufstellte und eiszeitliche Rinnen als Negativkriterium. Auch heute noch wird von der BGR auf die „Salzstudie“ von 1995 verwiesen. Es war dies das erste Mal, dass die BGR überhaupt klare geologische Kriterien aufstellte, die auch heute noch Gültigkeit haben. Doch die BGR ist eben auch eine abhängige Behörde. Sie ist dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt und wird sich vermutlich auch nicht gegen das Bundesumweltministerium stemmen. Dann könnte schlicht die Existenz der BGR bedroht sein wie man dies ja derzeit an Röttgens aktuellen Plänen mit dem BfS mitverfolgen kann.
Thematisiert wurde in der Zeugenbefragung auch ein Treffen vom 11.05.1983, das den Untersuchungsausschuss schon häufig beschäftigt hat. Damals haben Ministerialbeamte Einfluss genommen auf Inhalte des PTB-Zwischenberichts, der 1983 die Entscheidungsgrundlage für die untertägige Erkundung Gorlebens war. Bloser war bei diesem Treffen anwesend, betont aber, da noch nicht allzu lang mit der Materie befasst gewesen zu sein. Den von der PTB als „Weisung“ empfundenen Willen der Bundesministerien, dass die Empfehlung alternative Standorte neben Gorleben zu untersuchen, aus dem Entwurf gestrichen werden sollte, verteidigt Bloser. Es habe sich ja gar nicht um eine Weisung gehandelt. Außerdem sei die ursprüngliche Aussage, es sollten alternative Standorte untersucht werden gar keine wissenschaftliche Aussage, daher habe man durch ihre Streichung auch nichts Wissenschaftliches am PTB-Zwischenbericht verändert.
Vom LINKEN-Abgeordneten Jens Petermann nach den Gasvorkommen gefragt, die Bloser (das geht aus einem Vermerk hervor) frühzeitig bekannt waren, antwortet er, ja er habe von diesem Gas erfahren, auch von der 1969 explodierten Bohrung auf DDR-Seite. Aber man habe ja keine Informationen bekommen aus der DDR, das sei ja damals unmöglich gewesen. Es seien sicherlich Gasvorkommen nicht ganz ausgeschlossen worden, aber „allenfalls in kleinen Linsen“. Wie Bloser wissen kann, dass das Gas nur in „kleinen Linsen“ vorkomme, wo doch die Informationen weder vorlagen und noch zu bekommen waren, bleibt sein persönliches wissenschaftliches Geheimnis.