Ökologische Politik und Beschäftigungssicherung sind kein Gegensatz – im Gegenteil
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- 10 Oktober 2019
Im Zusammenhang mit einer Sozial-ökologischen Transformation gelangt man bei Diskussionen, wie diese zu gestalten ist, früher oder später immer zur Arbeitsplatzfrage. Fallen durch die Transformation Stellen weg? Könnten gar neue Stellen geschaffen werden und in welchen Arbeitsfeldern? Gerade bei der, aus ökologischer Sicht, nötigen Schrumpfung und Konversion der Automobilbranche, stößt man schnell auf die damit verbundenen Frage nach den Arbeitsplätzen, die hierdurch bedroht zu sein scheinen.
Deutschlands Abhängigkeit von der Autoindustrie
Oft führen PolitikerInnen an, dass jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland direkt oder indirekt von der Automobilbranche abhängt. Bei 44,8 Millionen Beschäftigten wären dies ca. 6,4 Millionen Jobs, was deutlich über den tatsächlichen Zahlen liegt. Das statistische Bundesamt spricht im Juli 2018 von ca. 842 000 Beschäftigten, Ökonomen gehen davon aus, dass insgesamt 1,8 Millionen Angestellte von der Branche abhängig sind, nimmt man MitarbeiterInnen in Autohäusern, Werkstätten und Zulieferbetrieben aus der Chemie- und Textilbranche hinzu. Dies wäre also in etwa jeder 25. Arbeitsplatz in Deutschland. Über die Hälfte des Umsatzes wird in der Branche nicht im Inland, sondern im Ausland erzielt.
In Hinblick auf die Klimaziele 2030 bzw. 2050 und eine nötige Verkehrswende hat die Automobilbranche trotz oder vielleicht gerade durch die Unterstützung der Bundesregierung eine Weichenstellung verpasst. Nicht aber die nötige sozial-ökologische Transformation, sondern Abgasskandale, eine fehlende Umstellung mit Fokussierung auf integrierte Mobilität und der Vorsprung ausländischer Hersteller bei der Elektrifizierung bedrohen die Arbeitsplätze in der Branche. Zwar errechnet das Fraunhofer-Institut, dass speziell im Bereich der Antriebstechnik jeder dritte Arbeitsplatz gestrichen werden könnte, führt aber gleichzeitig an, dass neue Stellen in der Branche entstehen können.
Neue Arbeitsplätze durch Konversion
Ein Forschungskonsortium rund um das Fraunhofer- und das Öko-Institut errechnete für den Klimaschutzplan 2050 des Bundesumweltministeriums in zwei unterschiedlichen Szenarien einen Beschäftigungszuwachs von 300.000 bis 430.000 Beschäftigte. Dazu ein um 1,1 bzw. 1,6 Prozent höheres BIP. Auch die Europäische Kommission sieht im Zuge der Energiewende bis 2030 europaweit 900.000 neue Jobs. Bei dieser Perspektive muss Erwähnung finden, dass sie voraus setzt, dass die bisherige Klimapolitik unverändert bleibt, Externalisierungserscheinungen keine Berücksichtigung finden und am ewigen Wachstum mit all seinen unsozialen Auswirkungen, dem enormen Preisdruck und dem zu hohen Ressourcenverbrauch festgehalten wird.
Aus linker Sicht ist es daher nötig andere Perspektiven deutlicher zu beleuchten.
Hier werden Arbeitsfelder genannt, die direkt durch eine sozial-ökologische Transformation beeinflusst werden.
Neue Jobs bei Schiene und ÖPNV
Im Zuge eines massiven Ausbaus von Bahn und Schiene und dem öffentlichen Nahverkehr bis in die ländlichen Regionen hinein, sind viele neue Stellen zu erwarten. Denn schon heute sind bei Bus und Bahn Stellen unbesetzt. Es wird händeringend nach neuen Fachkräften gesucht.
In den kommenden zehn Jahren plant die Bahn, gerade im Rahmen der Konzernstrategie „Starke Schiene“, mindestens 100.000 Stellen neu zu besetzen, MitarbeiterInnen zu rekrutieren, qualifizieren und integrieren. Allein in diesem Jahr stellt die DB 22.000 neue MitarbeiterInnen bundesweit ein, sowohl Berufserfahrene als auch Quereinsteiger und Auszubildende. Darunter FahrdienstleiterInnen, LokführerInnen, InstandhalterInnen, Servicekräfte, IngenieurInnen, IT- und DigitalexpertInnen, aber auch BusfahrerInnen und Sicherheitskräfte. Wie die DB mitteilte rekrutiert die Bahn sowohl MitarbeiterInnen, welche die entsprechenden Berufe schon erlernt haben, als auch in großem Umfang jene, die im Konzern selbst ausgebildet werden.
Im Zuge einer großen Ausbauoffensive und der daraus entstehenden Instandhaltung sind hier noch nicht der Schienenausbau mit seinen Zulieferbetrieben und die zusätzliche Fertigung und Wartung neuer Triebwägen und Waggons eingerechnet.
Laut dem VDV sind im Bereich der öffentlichen Busbetriebe viele Stellen unbesetzt, über 40% der KollegInnen gehen in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand, so dass in den kommenden zehn Jahren mindestens 35.000 Stellen besetzt werden müssen.
Bau und verarbeitendes Gewerbe
Im verarbeitenden Gewerbe ist in der Summe mit einem entschiedenen Rückgang an Stellen und Arbeitsvolumen zu rechnen, in der Baubranche hingegen mit einer Zunahme. Anpassungen an die Klimakrise führen zu deutlichen baulichen Investitionen, zum Beispiel dem Ausbau von Schienen- und Radwegen, um Alternativen zum Auto- und Flugverkehr bieten zu können, oder die Stadtplanung und der Stadtumbau mit Perspektive auf eine ökologisch verträgliche Mobilität, die energetische Gebäudesanierung etc.
Soziale Arbeit
Aber auch in öffentlichen Dienstleistungsfeldern und im Care-Sektor, wie der Alten- und Krankenpflege, allen Bereichen der sozialen Dienste und Bildung und bei kulturellen Dienstleistungen, in welchen die tatsächliche Beschäftigung schon seit langer Zeit dem Bedarf hinterherhinkt, ist im kommenden Jahrzehnt ein Zusatzbedarf von nahezu einer Millionen Stellen zu decken. Ein signifikanter Teil muss hierbei durch den öffentlichen Dienst übernommen werden, da sich hier die Arbeitsbedingungen allgemein als besser herausstellen. Andernorts muss die Voraussetzung für gewerkschaftliche Organisation und das Erkämpfen guter Arbeitsbedingungen geschaffen werden.
Werfen wir also einen genaueren Blick auf die Arbeitsfelder, bei denen sich die Lücke zwischen Ist und Soll wohl noch weiter öffnen wird.
Im Bereich der Kitabetreuung kann für 2030 eine Lücke von 300.000 rechnerischen Vollzeitkräften beim pädagogischen Personal angenommen werden. Die marktliberale Bertelsmann-Stiftung kam schon 2017 auf eine Lücke von rund 130.000 Stellen, welche zur Realisierung guter Personalausstattung fehlten.
Im Bereich „Erziehung und Unterricht“ zeigt sich ein riesiger Stellenbedarf. Bei Bildungsvergleichen schneiden neben den skandinavischen Ländern auch mitteleuropäische Länder, wie die Schweiz, Slowenien und Belgien recht gut ab.
Sollte der Deutschland als Bildungsland von den Vorschulen über die allgemeinbildenden Schulen bis zu den Hochschulen und den Einrichtungen der Fort- und Weiterbildung eine ähnlich gute Personalausstattung, die Grundlage einer Wissensgesellschaft ist, realisieren, wie sie es in den sieben genannten Vergleichsländern erfüllt ist, gäbe es ca. eine halbe Millionen mehr Beschäftigte im Bildungswesen.
Im Sozial- und Gesundheitswesen ist mit dem Anstieg der Lebenserwartung ein großer Neubedarf an Betreuungs- und Pflegebedarf entstanden, hier ist mit dem größten Beschäftigungszuwachs zu rechnen. Das Institut der deutschen Wirtschaft veröffentlichte Zahlen, dass bis 2035 150.000 neue Stellen im Pflegebereich entstehen müssen. Studien, welche sich damit auseinandersetzen, welche Personallücke mit Blick auf Unterbesetzung eine dynamische Bedarfsentwicklung besteht, stützen diese Einschätzung. Im internationalen Vergleich zeigt sich zudem, dass das deutsche Gesundheits- und Sozialwesen mit keiner guten Personalausstattung arbeitet.
Arbeitszeitverkürzung
Natürlich wird es bei der sozial-ökologischen Transformation nicht einfach darum gehen, die AutomobilmitarbeiterInnen zur Pflegekraft umzuschulen. In vielen technischen Sektoren, wie der nachhaltigen Mobilität, dem elektrischen Ausbau oder der grünen Technologien, werden gut ausgebildete Fachkräfte und IngenieurInnen benötigt. Bei der Sicherung von Beschäftigung und der Bekämpfung der jetzt schon vorhandenen Unterbeschäftigung muss aber auch die Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine Rolle spielen. Ebenso werden aber auch Modelle der lebenszeitbezogenen oder phasenweisen Arbeitszeitverkürzung bedeutsam und dem Wunsch vieler Beschäftigten nach mehr gesellschaftlichen, gemeinwohlorientierten und privaten Aktivitäten entgegenkommen.
Fazit
Ein optimistischer Blick in die Zukunft des deutschen Arbeitsmarktes ist angebracht. Es muss gelingen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Ausbildung und Bezahlung, gerade in sozialen Berufen wie der frühkindlichen Bildung oder im Pflegebereich zu erkämpfen. Dann eröffnen sich zahlreiche Chancen eine Arbeitsplatzreduzierung im verarbeitenden Gewerbe und gerade in der Automobilbranche abzufangen. DIE LINKE steht stets an der Seite der ArbeitnehmerInnen. Ein Klima-Investitionspakt, der die Umstrukturierung der Unternehmen unterstützt und Beschäftigung sichert hilft dabei die Menschen mitzunehmen und den Wandel gemeinsam anzugehen.