Idiotische Hochgeschwindigkeitstraßen bringen nicht mehr Verkehr auf die Schiene

"Die Linke kann diesem Bundeshaushalt nicht zustimmen, weil er unverantwortlich ist."
Rede von Sabine Leidig am 22.01.2010 zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs zum Haushalt 2010 (Bereich Verkehr)
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Roland Claus hat es schon deutlich gemacht: Die Linke kann diesem Bundeshaushalt nicht zustimmen, weil er unverantwortlich ist. Im Bereich Verkehr lässt sich das sehr deutlich erkennen: Wir werden wie bisher mehr Milliarden in die Straße investieren als in die Schiene. Dabei wissen wir, dass es der Auto- und Lkw-Verkehr ist, der Klima und Umwelt immer weiter belastet. Wir brauchen kein fantasieloses und betonköpfiges Weiter-so, sondern echte Weichenstellungen für Klimaschutz und eine bessere Bahn für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister Ramsauer, ich bin noch neu im Bundestag und könnte es deshalb gut verstehen, wenn Sie es in der Kürze der Zeit nicht geschafft hätten, in alle Themen einzusteigen; denn auch Sie sind ja als Verkehrsminister neu im Amt. Aber zum Glück gibt es Bürgerinitiativen und Verbände, die sich mit Verkehrsfragen beschäftigen und eine Menge Ideen und konkrete Vorschläge vortragen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz gehört dazu, Gewerkschaften, der Verkehrsclub Deutschland und die Expertengruppe „Bürgerbahn statt Börsenwahn“.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das heißt Börsenbahn, nicht Börsenwahn!)

Von denen habe ich eine ganze Menge gelernt. Natürlich vertreten diese Gruppen bestimmte Ziele und Interessen wie auch die Autolobby, die Logistikunternehmen oder Fluggesellschaften. Da muss man sich entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auf jeden Fall könnten Sie ohne Probleme auf das Werk der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr zurückgreifen, die nicht für Parteipolitik oder Klientelpolitik steht; vielmehr handelt es sich um einen Zusammenschluss der Verkehrsgesellschaften von Städten, Regionen und Bundesländern. Sie beschreibt sehr konkret, wie man viel mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen kann:
Sie empfiehlt einen deutschlandweiten Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild, mit dem das gesamte Zugangebot so verknüpft wird, dass häufigere und schnellere Verbindungen mit optimalen Umsteigemöglichkeiten entstehen. Damit sparen die Fahrgäste mehr Zeit und die Steuerzahler mehr Geld als durch den Bau von idiotischen Hochgeschwindigkeitstrassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Arbeitsgemeinschaft hat auch konkrete Vorschläge für mehr Nutzerfreundlichkeit, Qualität und Barrierefreiheit vorgelegt, auf die ich wegen Zeitmangels jetzt nicht eingehen kann.
Sie fordert klare Entwicklungsziele und politische Vorgaben für die Schieneninfrastruktur, eine langfristige Strategie zum Ausbau des Netzes und ausreichende Finanzierung. Diese ist bislang nicht gegeben. Für Instandhaltung, Erneuerung und Ausbau müssen die Mittel um 2 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Ich erlaube mir hier die Bemerkung, dass das locker bezahlt werden könnte, wenn der Bund keine neuen oder breiteren Autobahnen und Bundesstraßen mehr bauen würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Finanzierung der neuen Bahn müssen die Regionalisierungsmittel schrittweise erhöht werden. Bei 5 Prozent mehr Fahrgästen jährlich werden im Jahr 2020 rund 3 Milliarden Euro mehr benötigt, was nun wirklich keine gigantische Summe ist. Wenn diese Mittel allerdings so unverändert bleiben, wie es im Haushaltsplan vorgesehen ist, dann kann nicht einmal die Preissteigerung ausgeglichen werden, und wahrscheinlich wird der ÖPNV schrumpfen.

Ziemlich deutlich fordern die öffentlichen Verkehrsgesellschaften, dass der DB-Konzern entmachtet wird. Ich meine, dass der Bundestag sich diesen Schuh schleunigst anziehen sollte. Es ist doch nicht akzeptabel, dass Herr Grube und der Aufsichtsrat in einer Hauruckentscheidung vor Weihnachten die hochumstrittene Bahnhofsversenkung Stuttgart 21 beschließen, damit per Umbuchung für das Jahr 2009 noch ein ansehnlicher Gewinn des Konzerns ausgewiesen werden kann. Jetzt werden Projekte auf eine imaginäre Streichliste gesetzt, die unverzichtbar sind, unter anderem der Ausbau der Rheintalstrecke.

(Jörg van Essen (FDP): Wäre es nach den Grünen gegangen, hätte es den Stuttgarter Hauptbahnhof gar nicht gegeben! Dagegen wären Sie doch auch gewesen!)

Da kann ich nur sagen: Super, dass die Stuttgarterinnen und Stuttgarter jeden Montag zu Tausenden protestieren, demonstrieren, blockieren und so hoffentlich dieses Milliardengrab zuschütten!

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): So ein Unsinn!)

Schließlich wird von den regionalen Verkehrsgesellschaften kaum verhohlen die Abkehr vom Börsenkurs der Bahn gefordert - ich zitiere -:
„Bei der Infrastruktur beschränkt sich die Rolle des Bundes derzeit auf die des Zahlmeisters. Der Fernverkehr ist vollständig der unternehmerischen Steuerung überlassen. Die Orientierung an betriebswirtschaftlichen Kriterien hat dazu geführt, dass zwischen 1995 und 2007 die Fahrgastzahlen im Fernverkehr um 20 Prozent gesunken sind.“

Ja, trotz S-Bahn-Chaos, trotz ICE-Flottenpanne, trotz brüchiger Radachsen und alledem ist der Kurs der Deutschen Bahn unverändert. Das Schlimme ist, dass daran anscheinend auch nichts geändert werden soll. Nach wie vor ist im Haushalt unter den Einnahmeposten „Privatisierungserlöse“ bzw. „Verkauf von Bundesbeteiligungen“ neben der Telekom unter anderem auch die Bahn aufgelistet. Vielleicht ist das ein Versehen oder ein Überbleibsel aus der letzten Legislaturperiode. Wenn nicht, dann ist es höchste Eisenbahn, dass sich Bürgerinnen und Bürger und das Parlament die demokratische Kontrolle und Gestaltungsmacht über unsere Bahn endlich wieder zurückerobern und dieser Privatisierungsquatsch aufgegeben wird!

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Satz: Lucas Zeise beschreibt in der Financial Times Deutschland, wie die Wirtschaftskrise in eine Depression mündet. Auch deshalb sollten wir auf ein langfristiges Schienenausbauprogramm setzen, am besten europaweit und nicht im Wettbewerb, sondern in Kooperation. Dann hätten die Beschäftigten in der Automobilindustrie eine sinnvolle Perspektive, und wir könnten optimistisch umbauen statt abzuwracken.

Danke.