Weniger Verkehr ist mehr!
- Details
- 18 März 2011
- von Sabine Leidig
"Wenn es wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Landes geht, dann brauchen wir ein Moratorium, das keinen einzigen Kilometer Aus- und Neubau von Autobahnen vorsieht, bevor nicht ein Verkehrswendekonzept auf dem Tisch liegt, das für die Zukunft taugt." Rede von Sabine Leidig zu drei Anträgen der SPD zu Verkehrsinvestitionen und Ausrichtung der Verkehrspolitik allgemein (Drs. 17/5022, 17/1060, 17/782).
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin froh, dass die SPD-Fraktion erneut Gelegenheit gibt, über die grundlegende Ausrichtung der Verkehrspolitik zu reden; denn ich glaube, dass dies absolut notwendig ist. Ich glaube allerdings nicht, dass es um mehr Geld für die Infrastruktur geht, sondern um eine Frage ganz grundsätzlicher Natur: Wohin treibt unsere Verkehrs- und Mobilitätspolitik?
Ich will jetzt gar nicht auf einzelne Maßnahmen eingehen wir haben das im Rahmen verschiedener Anträge gemacht , sondern auf zwei Beiträge aufmerksam machen, die mich in dieser Woche in der Enquete-Kommission, die sich mit den Problemen von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität beschäftigt, haben aufhorchen lassen.
Der erste Beitrag stammt von Professor Schneidewind, dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts. Er hat deutlich gemacht, dass die Klima- und Umweltbelastungen gerade im Verkehrsbereich nicht verringert werden, und zwar deshalb, weil Belastungen verschoben werden wir führen diese Diskussionen gerade im Zusammenhang mit E 10 und dem Biosprit und weil die Energieeinsparungen durch mehr Fahrerei aufgefressen werden.
Der zweite Hinweis kam vom Sachverständigen Herrn Michael Müller, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass die größte Herausforderung völlig unterschätzt wird, nämlich die Tatsache, dass die Erdölförderung seit 2004 nicht mehr zunimmt und die Endlichkeit dieses Rohstoffes gerade für den Mobilitätssektor sehr harte Konsequenzen hat. Diese Konsequenzen beginnen nicht erst, wenn der letzte Tropfen Öl verbraucht ist, sondern schon dann, wenn die Preise drastisch ansteigen.
Es geht also nicht nur darum, den Verkehr von der Straße auf die Schiene oder von der Luft auf das Wasser zu verlagern. Es geht nicht nur um einen besseren ÖPNV darum geht es natürlich auch , es geht nicht nur um Lärmschutz darum geht es auch , und es geht nicht nur um mehr Transparenz, damit die Leute neue Verkehrsprojekte akzeptieren. Vielmehr geht es eigentlich darum, Konzepte zu entwickeln, um Verkehr zu reduzieren bzw. zu vermeiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist in der Verkehrspolitik allerdings ein völliges Tabu. Stattdessen wird irrwitzigen Verkehrswachstumsprognosen hinterherbetoniert. Ich will nur darauf hinweisen: Sie gehen von 3 Prozent mehr privaten Pkws, 80 Prozent mehr Güterverkehr und einer Verdopplung des Flugverkehrs in den nächsten 10 bis 15 Jahren aus. Das ist doch völliger Wahnsinn.
Der naheliegendste Vorschlag, um den Verkehr zu reduzieren, wäre, endlich Kostenwahrheit zu praktizieren. Auch dazu hat sich die SPD geäußert. Ich zitiere an dieser Stelle den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der beim Internationalen Verkehrsforum im Mai letzten Jahres Folgendes gesagt hat:
Wer Menschen oder Waren befördert, der zahlt heute Treibstoff, Personal, Verkehrsträger, Gebühren. Er zahlt aber wenig bis gar nicht für Luftverschmutzung, Lärmbelästigung, Gesundheitskosten, Umwelt- und Klimaschäden. Nur deswegen kann es … billiger sein, Krabben aus der Nordsee nicht an der Nordsee, sondern in Marokko pulen zu lassen und anschließend doch in Deutschland zu verkaufen. Ein wertvolles Hin und Her? Ich finde nein …
Horst Köhler sagte weiter:
Im Gegensatz zur Stromsteuer, die die Bahn bezahlen muss, ist Kerosin weiterhin von der Energiesteuer befreit ebenso übrigens wie Schiffstreibstoff. Wäre es im Sinne der Gleichbehandlung der Verkehrsträger nicht gerecht, die Aussetzung der Energiesteuer für Kerosin und Schiffstreibstoff zu beenden? Am besten so international wie möglich. Ich weiß, das bedeutet schwierige Verhandlungen. Aber wir sollten es anpacken …
So Horst Köhler.
(Beifall bei der LINKEN)
Er ist übrigens kurz danach zurückgetreten,
(Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Er musste zurücktreten, nachdem er das gesagt hat!)
nachdem Herr Joachim Hunold, der Chef von Air Berlin, in der Öffentlichkeit massiv Kritik geübt hat. Ich muss Ihnen sagen: Ich schließe nicht aus, dass die Automobil- und Flugzeugkonzerne in der Bundesrepublik genauso viel Druck aufbauen wie die Atom- und Energiekonzerne im Energiesektor
(Beifall bei der LINKEN)
und damit die Demokratie und der notwendige Umbau genauso massiv behindert werden.
Ein weiteres wichtiges Mittel zur Reduzierung von Verkehr wäre, dass wir unsere Städte umgestalten. Hier müssen die Verkehrsinfrastrukturen verändert werden. Wir brauchen viel bessere Bedingungen, beste Bedingungen für Leute, die nicht motorisiert unterwegs sind, für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer, für Fußgängerinnen und Fußgänger. Wenn nur jede zweite innerstädtische Autofahrt, die weniger als fünf Kilometer lang ist ich bitte Sie, jetzt zuzuhören , stattdessen mit dem Fahrrad unternommen würde, würde in den Städten bereits ein Viertel weniger Autos fahren. Dieser Anteil entspricht einer gigantischen Zahl. Das wäre ein sehr großer Beitrag zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Lebensqualität. Aber dazu braucht man Investitionsprogramme. Dazu müssten die Städte umgestaltet werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Dazu brauchen wir Fahrradringe. Dazu brauchen wir den Vorrang von Fahrrad und Fußgängern. Das können die Kommunen aber nicht alleine stemmen. Hier müsste der Bund beispringen und Geld investieren.
(Peter Götz (CDU/CSU): Zurück in die DDR!)
Zum Thema Elektroautos hat sich der Deutsche Städtetag in der letzten Woche beachtlicherweise ausgesprochen kritisch geäußert. In einer Stellungnahme heißt es:
"Auch ein elektrisch angetriebenes Auto bleibt ein Gefährt mit vier Rädern. Als solches verbraucht es Flächen sowohl im ruhenden als auch im fließenden Verkehr und erhöht den ohnehin schon viel zu großen Kfz-Bestand in den Städten weiter."
Insofern setzen Sie auf ein völlig falsches Pferd, und das sagen Ihnen Ihre Kommunalpolitiker auch ganz deutlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Schluss möchte ich noch das Thema Geschwindigkeit ansprechen; denn auch hier wird dem Wahn gefolgt, dass „immer schneller“ immer besser sei. Gigantische Mengen an Investitionsmitteln werden in die Hochgeschwindigkeit gesteckt, und zwar sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene. Das ist ausgesprochen fragwürdig. Auch hier ist ein völliges Umdenken nötig; denn Geschwindigkeit hat mit der Verbesserung der Lebensqualität gar nichts zu tun. Man weiß inzwischen, dass es trotz der Tatsache, dass die Verkehre schneller fließen, zu keiner Zeitersparnis kommt. Vielmehr ist es so, dass die Menschen die gleiche Zeit für Mobilität aufwenden, dass sie dabei aber viel weitere Wege zurücklegen. Wir haben aber kein besseres Leben durch schnelleres Rasen.
Ich muss sagen: Mir wäre es lieber, Herr Beckmeyer, es würde einen Stillstand, ein Innehalten in der Verkehrspolitik geben. Das gibt es aber nicht. Die Regierungskoalition hat den Finanzierungskreislauf „Straße“ beschlossen und setzt weiter auf den Auto- und Lkw-Verkehr.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin!
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Wenn es wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Landes geht, dann brauchen wir ein Moratorium, das keinen einzigen Kilometer Aus- und Neubau von Autobahnen vorsieht, bevor nicht ein Verkehrswendekonzept auf dem Tisch liegt, das für die Zukunft taugt.
(Beifall bei der LINKEN)