LOKbuch – lehrreiches Praktikum auf der Güterbahn

Wer eintaucht in den Eisenbahnkosmos – dorthin wo die wirklichen Weichen gestellt werden, wird nie mehr das hohe Lied der Bahnprivatisierung singen. Darin bin ich nach vier Tagen auf Rangierbahnhöfen und Güterloks bestärkt – von Männern aus dem Bahnbetrieb, die mit Leib und Seele dieses Transportsystem in Gang halten.

DB-Cargo-Standort Kassel, eine Zugbildungsanlage von großer logistischer Bedeutung: „die 10 Größten plus Kassel“(!).  Mein Eindruck beim herbeiradeln: löchrige Zufahrt, verblasste Beschilderung, verrostete Geländer, wuchernde Brombeeren … dieser Ort hatte schon bessere Tage. Für die Infrastruktur hier gehen zwei Millionen Euro pro Jahr an DB-Netz… „wie das so ist, wenn Sie was vom Vermieter wollen – das dauert, oder es passiert gar nichts – aber Miete kürzen kann man nicht“. Nicht wundern über die unterschiedlichen Namen auf den Tafeln: DB-Schenker, DB-Railion, DB-Cargo im Wechsel … alles schon mal dagewesen; Konzernzuschnitte und Bezeichnungen wechseln wie die Konzernstrategie.

In der Disposition vor Ort werden Zug, Lok und Triebfahrzeugführer zusammengefügt. Die Tür steht offen und alle Anliegen werden besprochen: „es ist ein Geben und Nehmen. Wenn ich dem entgegenkomme, weil eine Familienfeier ansteht, dann krieg ich auch mal eine Sonderschicht oder kann tauschen“.  Allerdings fehlen Lokführer*innen. In Ballungsgebieten ist es noch schlimmer; auch im Rangierbetrieb, beim Wagendienst, auf Stellwerken, oder in den Planungs- und Dispositionsteams führt der Personalmangel zu Ausfällen und Verzögerungen. „Wir waren jahrzehntelang auf Personalabbau gepolt – so schnell kriegen wir jetzt keine neuen Fachkräfte her“.  Einer meldet eine Lok, die in Stadtallendorf stehen blieb. Sowas passiert öfter - weil die elektronische Steuerung versagt, oder weil der Lokführer Schichtende hat und keine Ablösung da ist. „Es wird überall abgestellt – ich glaub die haben kein Überblick mehr“.

Ich frage: versteht ihr, warum Verkehrsminister die Bahnreform so loben? Unisono: Nein! Lokführer*innen sind früher alles gefahren: Güterzüge, Regionalbahnen, oder ICE. Da gab es viel mehr Flexibilität. Jetzt Mehrfachstrukturen „mehr Wasserkopf“.  Über dem operativen Bahnbetrieb sind Vorstände entstanden „eine Lehmschicht“: alles wird mit Vorschriften geregelt, die Kompetenz liegt nicht mehr bei denen, die konkret vor Ort Verantwortung und Erfahrung haben. …. „da wird nicht mehr in das Handwerk der Eisenbahn vertraut“. Das Bahnsystem ist kein Gewinnbringer … „Lean Management und diese ganze Grütze - da wird richtig viel Geld verbrannt für nutzlose Workshops und Meetings … da kommt der Controller und hat keine Ahnung von Eisenbahn, aber Dollarzeichen in den Augen“.

Zwei Tage fahre ich mit Hauptlokführer Franz von Mannheim aus mit. Vor Weinheim auf dem Nebengleis ein Güterzug, voll beladen ist mit nagelneuen Audis, die von Neckarsulm nach Hamburg sollen … „der steht hier schon seit fünf Tagen … ich stell die Autos jetzt bei Ebay rein … könnt ihr nicht eins brauchen?“ scherzt die Frauenstimme aus dem Stellwerk. Die Fahrdienstleitung (Netz) kümmert sich nicht um den Zug, Cargo zahlt Trassengebühr.

Ich staune über mechanische Stellwerke, die noch immer zuverlässig funktionieren und über Könner, die 80-Tonnen-schwere Waggons mit dem Bremsschuh punktgenau zum Stehen bringen. Ich erlebe Bordsysteme, die erst beim x-ten Anlauf hochladen, verspätete Bereitstellung von Triebfahrzeug oder Wagen … und sehe die kaputtgesparte Infrastruktur.  „Wir werden moderner und die Leistungsfähigkeit sinkt“.

Ich höre, sehe und spüre, dass die Eisenbahn ein großes (Volks-)Vermögen ist: die Anlagen sind wertvoll, sie müssen gepflegt und gewartet werden. Und wir haben diese Menschen. Die Eisenbahn vermag so viel mehr als sie heute darf. Es braucht eine demokratische Offensive zur Rettung der Bahn. Nur wenn sich die Fachkompetenz und die Leidenschaft der Eisenbahner*innen mit einer vernünftigen, sozialökologischen Verkehrspolitik verbindet, kann man wirklich viel mehr Verkehr auf die Schiene verlagern.

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Hier die 12-seitige Reportage über wahre Eisenbahner*innen und die fiesen Folgen der Bahnprivatisierung https://www.sabine-leidig.de/wp-content/uploads/LOKbuch.pdf