Bahnprivatisierung stoppen

Rede zu Protokoll von MdB Sabine Leidig am 18.06.2010
zur Debatte über den Antrag der Fraktion DIE LINKE.
"Zukunft der Bahn – Bürgerbahn statt Börsenbahn" vom 9.2.2010
 

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

mal im Ernst: Welche Abgeordnete und welcher Abgeordnete in diesem Haus weiß, dass die Bundesregierung quasi über Nacht alle Transportgesellschaften der Deutschen Bahn AG privatisieren kann? Dass sie, um dies durchzuziehen, keinerlei Befassung im Bundestag ansetzen muss und schon gar keinen Beschluss des Bundestags benötigt?

Und wenn ich sage „alle Transportgesellschaften“, dann meine ich die Nahverkehrsgesellschaft DB Regio, den gesamten Bahnfernverkehr, den gesamten Bahngüterverkehr, alle Aktivitäten von Schenker im Verkehrsbereich im Inland und im Ausland. Und um hier noch mehr ins Detail zu gehen, wo ja oft der Teufel steckt: Privatisiert wären dann auch die S-Bahngesellschaften der Bahn, also beispielsweise die Hochbahn und S-Bahn in Hamburg und die S-Bahn GmbH in Berlin.

All das ist möglich aufgrund des positiven Votums der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD über einen Antrag derselben Fraktionen am 30. Mai 2008. In diesem Beschluss, der bis heute Gültigkeit hat, heißt es:
„An den zusammengefassten Verkehrs- und Logistikunternehmen (der Deutschen Bahn AG; S.L.) werden Dritte beteiligt. Dafür bedarf es keiner gesetzlichen Änderung. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die (neue) Organisationsstruktur (der DB AG) umzusetzen und dabei die folgenden Punkte zu gewährleisten: (...) Privates Kapital wird mit 24,9 Prozent an den Bereichen Verkehr und Logistik der DB AG beteiligt. Dafür werden der Güter-, der Fern- und der Regionalverkehr sowie die dazu gehörenden Dienstleistungen der DB AG zu einer Gesellschaft zusammengefasst.“

Diese Passage des Beschlusses ist insofern trickreich und scheinheilig, als die entsprechende Umstrukturierung der DB AG mit der Bildung der neuen Subholding DB ML bereits mehrere Wochen zuvor durchgezogen und im Handelsregister festgehalten worden war – mit Zustimmung der Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat und ohne jegliche parlamentarische Befassung.

Nochmals zur Substanz des Beschlusses: Ende Mai 2008 wurde also durch die damaligen Regierungsparteien – also auch durch Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion – beschlossen, die DB AG teilzuprivatisieren -

– obwohl der im Juli 2007 eingebrachte Gesetzentwurf zur Privatisierung der Bahn als integriertem Konzern (DS 16/6383) gescheitert war und die Koalition diesen nach einer ersten Lesung am 21. September 2007 nicht weiter verfolgte;
– obwohl der SPD-Parteitag vom Oktober 2007 im Hamburg sich gegen eine Bahnprivatisierung ausgesprochen hatte;
– obwohl auf eben diesem Parteitag beschlossen wurde, dass ein neues Projekt einer Bahnprivatisierung von der SPD nur auf Basis eines Beschlusses auf einem neuen SPD-Parteitag verfolgt werden dürfe;
– obwohl sich in der Bevölkerung im Rahmen der Debatten um die mögliche Bahnprivatisierung eine klare Mehrheit gegen jede Form einer Privatbahn ausgesprochen hatte (zuletzt, im Sommer 2008, lag diese Ablehnung laut einer repräsentativen Umfrage von Forsa bei mehr als 80 Prozent).

Die SPD hat dann in ihrem Wahlprogramm, das kurz nach dem zitierten Bundestagsbeschluss verabschiedet wurde, festgehalten, dass es „in der kommenden Legislaturperiode keine Bahnprivatisierung“ geben dürfe. Sie hat es allerdings damals und bis heute vermieden, darauf hinzuweisen, dass es längst einen Beschluss zur Bahnprivatisierung gibt. Dieser Beschluss muss inzwischen als eine Art „Vorratsbeschluss“ gelten: Er kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt durch die Bundesregierung aktiviert und genutzt werden.

Jetzt kenne ich natürlich die Argumente aus den Reihen von SPD und Grünen. Da wird uns gesagt: Das ist doch alles Schnee von gestern. Die Bahnprivatisierung steht nicht auf der Tagesordnung – siehe all die netten Äußerungen von Herrn Ramsauer über die Bahn als „patriotische Angelegenheit“, siehe Herrn Grubes Behauptungen, man wolle sich vor allem um das „Brot und Buttergeschäft“ der Bahn kümmern; da spiele die Bahnprivatisierung aktuell keine Rolle.

Diese Botschaften hören wir wohl, wiewohl uns fehlt der Glaube. Und es gibt gute Gründe für unser Mißtrauen. Um nur drei zu nennen:

– Die DB AG unter Bahnchef Grube agiert sehr ähnlich wie zuvor die Mehdorn-Bahn: Irrwitzige und bahnpolitisch zerstörerische Großprojekte wie Stuttgart 21 werden durchgezogen, der Fernverkehr wird weiter ausgedünnt und für das Auswechseln der nicht dauerfesten ICE-Radsatzwellen will man sich mehr als zwei Jahre Zeit lassen. Gleichzeitig geht die global player-Einkaufstour weiter - mit dem 2,7 Milliarden Euro teuren Kauf von Arriva.
– Der Ende März 2010 neu besetzte Aufsichtsrat der DB AG ist bei den Vertretern des Bundes so zusammengesetzt, dass private Unternehmensinteressen eine erhebliche Rolle spielen – auch solche, die in Widerspruch zu den berechtigten Interessen des Bundes als Vertreter des Eigentümers deutsche Bevölkerung stehen. An der Spitze dieses Aufsichtsrats steht mit Utz-Helmuth Felcht sogar ein Mann, der gleichzeitig in führenden Strukturen einer international tätigen „Heuschrecke“ engagiert ist.
– Aktuell erleben wir einen massiven Druck zum Sparen. Dies erfolgt wieder einmal auf dem Rücken der sozial Schwachen. In dieser Situation ist es für uns absolut nachvollziehbar, dass es zu einer Art Notschlachtung der Bahn kommen kann. Da könnte beispielsweise eines Tages die Bundesregierung mitteilen, ein „Investor aus Abu Dabi“ oder die russische Staatsbahn RSB habe sich bereit erklärt, sich für 3,5 oder 4 Milliarden Euro an der DB ML beteiligen. Wobei der Anteil ja im übrigen nur bei 24,9 Prozent liegen werde. Das sei, so weiter diese Regierung, doch in Zeiten klammer öffentlicher Kassen ein Glücksfall und mindere auch etwas den Sparzwang. Und im übrigen sei das alles abgedeckt durch den Bundestagsbeschluss vom Mai 2008. Einer Öffentlichkeit, die auf so etwas nicht vorbereitet ist, kann eine solche Blitzprivatisierung unter solchen Bedingungen leicht verkauft werden.

Wir wollen mit unserem Antrag zunächst die Öffentlichkeit über den zitierten Bahnprivatisierungsbeschluss und seine fortgesetzte Gültigkeit informieren. Wir fordern des weiteren, dass es keinerlei größere Veränderung bei der Bahn und insbesondere keine Schritte zur Privatisierung eben ohne dass der Bundestag mit der Angelegenheit befasst sein wird. Und wir fordern, dass endlich der Börsenbahn-Kurs grundsätzlich aufgegeben und die Konzeption einer in öffentlichem Eigentum befindlichen Bürgerbahn und Flächenbahn entwickelt wird.