Bahnprivatisierung ohne Netz

Sieben Argumente gegen das aktuelle Bahnprivatisierungsmodell

Die CDU/CSU-FDP-Regierung will die Bahn weiter privatisieren - "sobald es der Kapitalmarkt zulässt". Anders als die Vorgänger-Regierung, die drei Jahre lang (Herbst 2005 bis Anfang 2008) ein Privatisierungsmodell des "integrierten Konzerns" verfolgt hatte, zielt die aktuelle Regierung von vornherein auf eine Privatisierung nach dem Modell "Trennung von Fahrweg und Betrieb".
Sie kann dabei bereits an die Vorarbeit der Vorgänger-Regierung anknüpfen. Nach dem Nein des Hamburger SPD-Parteitags vom 27. Oktober 2007 zum damaligen Bahnprivatisierungsgesetz entschied die damalige Koalitionsrunde bereits am 10. Dezember 2007, nunmehr eine Bahnprivatisierung nach dem Trennungsmodell anzugehen. Anfang 2008 beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG - mit den Stimmen der Regierungsvertreter - eine aufwendige Umstrukturierung der DB AG, bei der die Infrastruktur (Netz, Bahnhöfe Energie) in einer Infrastrukturgesellschaft zusammengefasst wurde und eine neue Subholding DB ML gebildet wurde, in der Nah-, Fern- Güterverkehr auf Schienen und die internationale Logistik zusammengefasst sind. Die  DB ML, bei der sich bis zu 90 Prozent  des gesamten Umsatz bündelt, sollte sich für private Investoren öffnen.
Zunächst argumentierte die Bundesregierung, diese Art Bahnprivatisierung könne ganz ohne parlamentarische Befassung, lediglich durch Entscheidungen innerhalb der Strukturen der Deutschen Bahn AG - gegebenenfalls ergänzt um Entscheidungen des Kabinetts (der Bundesregierung) - durchgezogen werden. Dann brachten jedoch die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD im April 2008 recht kurzfristig einen Antrag in den Bundestag, der Ende Mai vom Parlament beschlossen wurde. In diesem wird die Bundesregierung aufgefordert, an der DB ML baldmöglichst in einem ersten Schritt 24,9 Prozent private Investoren zu beteiligen.
Dieser Beschluss hat bis heute Gültigkeit; die Bundesregierung kann auf dieser Basis quasi über Nacht und ohne den Bundestag in irgendeiner Form einzubeziehen, eine de facto Bahnprivatisierung durchführen. Es handelt sich um eine Art "Vorratsbeschluss zur Bahnprivatisierung".
Das Modell ist nicht neu. Als die Gutachtergesellschaft Booz Allen Hamilton Ende 2005 ihr im Auftrag des Bundestags erstelltes Gutachten präsentierte, trug dieses explizit den Titel »PRIMON«, was übersetzt heißt »Privatisierung mit und ohne Netz«. Das Holdingmodell war eine der dort vorgestellten fünf Privatisierungvarianten (PRIMON-Gutachten S. 369-398). Dieses Modell entsprach weitgehend demjenigen, das im Jahr 2002 in einer Studie der Investmentbank Morgan Stanley entwickelt worden war. Es war schon immer von den Unternehmerverbänden BDI und DIHK favorisiert und von den Parteien FDP und großen Teilen der CDU/CSU unterstützt worden (und für das es auch innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen und bei Teilen der Umweltverbände bzw. bei Teilen von pro Bahn und beim VCD Unterstützung gibt oder zumindest gab. Das aktuell zur Debatte stehende Privatisierungsmodell ist mit der Form Subholding allerdings wieder ein spezifisches, im PRIMON-Gutachten in dieser Form nicht vorgestellte Privatisierungsform.
Es ist ein Irrtum zu glauben, das aktuell anstehende Privatisierungsmodell stelle irgend eine Art ?kleineres Übel? dar. Dagegen spricht bereits die skizzierte Herkunft - Morgan Stanley plus BDI/DIHK plus FDP - garantieren dafür, dass dieses Modell von den Unternehmern im allgemeinen und von der Öl-Auto-Flugzeug-Lobyy im besonderen gepuscht und damit der Bahn maximal geschädigt wird.
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1 Verluste bei Sicherheit, Service und Synergie
Der Bahnchef und die Transnet-Führung haben in einem Punkt beide recht: Mehr als bei den konkurrierenden Verkehrsträgern Straße, Luftverkehr und Schifffahrt sind im Schienenverkehr die Verkehrsmittel (Loks, Triebfahrzeuge und Waggons) eng mit der Schiene verzahnt. Kommt es zu einer Trennung, so werden Standards von Service (siehe auch Punkte 4-7) und Sicherheit abgebaut. In Großbritannien war die Trennung von Netz und Betrieb zumindest mitverantwortlich für eine Reihe schwerer Unfälle, zu denen es nach der Privatisierung kam. Dort stimmen heute Konservative, Labour Party und Fachpresse darin überein, dass der entscheidende Fehler bei der Bahnprivatisierung just in der Trennung von Fahrweg und Betrieb bestand.
Darüberhinaus bringt das Trennungsmodell neue Synergieverluste. Solche gab es bereits im Fall der »Bahnreform« von 1994, in deren Gefolge es zu einer Aufteilung in einzelne Gesellschaften kam. So kam es zu einer deutlichen Aufblähung des oberen Managements. Es gibt keinen einheitlichen Triebfahrzeug-Park mehr; Lokführer sind nur noch in ihrem Bereich - im Nahverkehr, Fernverkehr oder Güterverkehr - einsetzbar, was u.a. zu absurden Einsatzzeiten mit vielstündigen Unterbrechungen führt. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Bereichen wurde erschwert.
Bisher wurden die Synergieverluste dadurch begrenzt, dass es eine einheitliche Holding gab, die auch das operative Geschäft bestimmte und die die einzelnen Töchter mit Beherrschungsverträgen an sich band. Unter Mehdorn kam es teilweise sogar zu einer neuerlichen Zusammenfassung von Bereichen, die zuvor auseinanderdrifteten - so wurde im Vorstand die Verantwortlichkeit für den Nahverkehr und für den Fernverkehr einer Person zugesprochen.
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2 Verschleuderung von Volksvermögen - Fahren auf Verschleiß
Der Wert der Transportgesellschaften - vor allem des rollenden Materials (Loks, Waggons, Triebfahrzeuge usw.) -  liegt ausweislich der offiziellen Statistik des Bundesverkehrsministeriums bei 55,5 Milliarden Euro (»Verkehr in Zahlen 2008/2009, S. 39). Damit ist die internationale Logistik noch nicht mit erfasst.
Der Erlös aus dem Verkauf eines Viertels der DB ML müsste demnach allein bezogen auf DB Regio, DB Fernverkehr und Railion 14 Milliarden Euro erbringen. Einschließlich der Logistik mindestens zwei bis drei Milliarden Euro mehr. Real ist jedoch davon die Rede, dass ein Verkauf der ersten Tranche vier bis sieben Milliarden Euro erbringen soll. Also maximal die Hälfte des offiziellen Werts des rollenden Materials - ohne einen Euro für den Ein-Viertel-Anteil an der weltweiten Logistik (wie Bax Global in den USA, EWS in Großbritannien, Interfesa in Spanien, mehrere osteuropäische Bahnen und Unternehmen usw.).
Das heißt: Auch bei diesem Bahnprivatisierungsmodell wird zunächst ein großer Teil des  von den Steuerzahlern und Fahrgästen in vielen Jahrzehnten finanzierte Bruttoanlagevermögens verschleudert.
Nun heißt es offiziell, man wolle private Investoren »hereinholen«, da man frisches Kapital benötige, unter anderem um die ICE-Flotte zu erneuern. In Wirklichkeit verhält es sich umgekehrt: Private Investoren wollen kurzfristig hohe Gewinne erzielen. Das heißt, sie haben kein Interesse an hohen Kosten für neue Fahrzeuge. Wie das bei allen vorausgegangenen Privatisierungen (im Bereich von Wasser, Energie und Wohnungen) zu beobachten war, werden sie - auch begünstigt durch den zu niedrigen Übernahmepreis - die Investitionen generell herunterfahren und auf (zu) niedrige Abschreibungen drängen. Für sie ist nicht von Interesse, ob in sieben oder 15 Jahren ausreichend Rückstellungen vorhanden sind, um beispielsweise die ICE-Flotte der 2. und 3. Generation zu erneuern. Bei privaten Investoren droht weit mehr als bisher, dass auf Verschleiß fahren. Sie können sich in zehn oder fünfzehn Jahren wieder aus ihrem Engagement verabschieden. Dass der Staat dann bereit ist, die fehlenden Milliarden-Beträge zu investieren, muss bezweifelt werden. Bis dahin könnte beispielsweise die Entwicklung im Verkehrsmarkt zugunsten von Straße und Luftverkehr so weit gediehen ist, dass eine Reaktivierung der Schiene als aussichtslos erscheint. Eine Mittel dazu wird der flächenhafte Einsatz von Busfern-Verkehren sein.1

3 Milliarden Euro an Steuergelder für private Betreiber
Es geht aber nicht allein und kaum in erster Linie um die Sondergewinne privater Investoren beim Einstieg in die DB ML. Und auch nicht um die einmaligen Sonderverluste des Bundes respektive der Steuerzahlenden bei diesem ersten Privatisierungsakt. Es geht imFall der Bahnbetriebs-Privatisierung vielmehr um einen stetigen Abfluss öffentlicher Gelder in private Kassen.
Das Trennungsmodell wird auch damit begründet, dass eine Bahn im öffentlichen Eigentum »dem Steuerzahler zu teuer« komme. Tatsächlich sollen aber auch bei Realisierung dieses Privatisierungsmodells mindestens dieselben Summen an öffentlichen Geldern für das System Schiene ausgeben werden wie vor der Privatisierung. So steht es explizit imPRIMON-Gutachten. Dies deckt sich mit den Erfahrungen in Großbritannien und  Schweden, wo nach den Bahnprivatisierungen die staatlichen Leistungen an die privaten Betreibergesellschaften massiv anstiegen.
Hierzulande liegt der Betrag, der jährlich in das System Schiene fließt, zwischen 12 und 15 Milliarden Euro im Jahr (Regionalisierungsgelder, Investitionen in das Schienennetz und Beamten-Ausgleichszahlungen über das Bundeseisenbahnvermögen - BEV). In den Bereich DB ML fließen (einschließlich der Ausgleichszahlungen an das BEV) jährlich rund 10 Milliarden Euro. Diejenigen Summen, die darüber hinaus in das Netz fließen, werden durch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) langfristig garantiert. Die 10 Milliarden, die der DB ML jährlich zufließen, werden - insoweit es sich nicht um die BEV-Ausgleichszahlungen handelt - überwiegend durch DB-Regio-Verträge mit langer Laufzeit garantiert. Bei zukünftigen Ausschreibungen wird eine teilprivatisierte DB ML-DB Regio ähnlich aggressiv mit Dumping-Angeboten auftreten wie derzeit einige private Betreiber.
Gelegentlich wird argumentiert, es sei doch unwichtig, ob die staatlichen Gelder für die Schiene überwiegend einem privaten oder einem in öffentlichem Eigentum befindlichen Unternehmen zufließen. Immerhin würden Bund und Länder auch derzeit kaum Einfluss auf die Verwendung der Gelder, die in das Schienennetz und in den Transport fließen, nehmen. Letzteres stimmt. Dennoch ist es kein überzeugendes Argument. Entscheidend ist: Derzeit könnten Regierung bzw. Bundestag Einfluss auf den Einsatz dieser Mittel nehmen. Nach einer Privatisierung können sie eigentumsrechtlich kaum mehr Einfluss nehmen, auch dann nicht, wenn sie wollten.
Hinzu kommt der komplexe Bereich der Trassenpreise und der Trasseneinnahmen, also der Trassenbenutzungsgebühren, die von der auch nach einer Teilprivatisierung zu 100 Prozent in Bundeseigentum befindlichen Infrastrukturgesellschaft erhoben werden. Grundsätzlich decken unter den gegenwärtigen Bedingungen des Verkehrsmarktes Trasseneinnahmen  nicht die realen Kosten der Schieneninfrastruktur. (Auch die Infrastruktur-Kosten im Straßen- und Luftverkehr werden mit öffentlichen Geldern kofinanziert, obgleioch die Verkehrsm,arktordnung Straße und Luftfahrt begünstigt).
Bisher ist der interne Geldkreislauf der DB AG so gestaltet, dass die (in starkem Maß staatlich kofinanzierten) Einnahmen aus dem Nah- und Regionalverkehr den (eigenwirtschatlich betriebenen) Fern- und Güterverkehr der DB AG quersubventionieren. Relativ hohe Trassenpreise (die von DB Regio, aber auch von den privaten Betreibern zu zahlen sind), fließen in viel zu geringem Umfang in die Infrastruktur zurück und vor allem in zu geringem Umfang in die für den Nahverkehr relevante Infrastruktur.
Im Fall eines integrierten Börsengangs (2005-Frühjahr 2008) sollte dieses Modell mit relativ hohen Trassenpreisen weiter ausgebaut - und darüber die private Konkurrenz klein gehalten - werden.
Bei dem nun verfolgten Privatisierungsmodell dürfte es bald eine völlig andere Gewichtung geben: Die privaten Anteileigner an der DB ML werden - zusammen mit den rein privaten  Schienenverkehrsunternehmen einen massiven Druck ausüben, damit es zu niedrigen und sinkenden Trassenpreise kommt. Diese sind mit verbesserte Gewinnmöglichkeiten im dann überwiegend privat dominierten Transportbereich verbunden.
Da die Qualität des Netzes ohnehin schon miserabel ist und die DB AG seit Jahren (und aufgrund der Orientierung auf einen Bahnbörsengang) auf Substanz fährt, wird damit der Druck auf den Staat steigen, die staatlichen Investitionen in das - dann ja zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum befindliche - Netz zu erhöhen. Gleichzeitig werden die rein privaten Betreiber und die teilprivatisierte DB ML im Zweifelsfall immer den Bund verantwortlich machen, wenn es zu Unfällen, zu Verspätungen usw. kommt.

4 Abbau von 10.000 km des Netzes - Kahlschlag bei den Verkehrsangeboten
Das PRIMON-Gutachten ging auch im Fall der Umsetzung des Holding-Modells davon aus, dass der Fernverkehr und der Nahverkehr im Verkehrsmarkt Marktanteile verlieren. Im Fernverkehr, wozu konkrete Angaben gemacht werden, soll der Anteil von (2005) 3,3 Prozent auf 2,9 Prozent - oder um zehn Prozent - sinken (S. 376). Der Güterverkehr soll unter spezifischen Bedingungen bescheidene Anteilsgewinne (von 15,8 % auf 16,4 %) erzielen können.
Der Grund für diese Entwicklung liegt erstens in den Bedingungen des Verkehrsmarkts, wo systematisch der Straßen- und Luftverkehr begünstigt, das Straßennetz erweitert, die Zahl der Airports und Start- und Landesbahnen erhöht, jedoch das Schienennetz abgebaut und die Angebote auf demselben reduziert werden. Der zweite Grund für diese Entwicklung liegt allerdings im Charakter eines privatkapitalistischen Betriebs im Transportsektor.
Eine Bahn in öffentlichem Eigentum kann mit einer Null-Prozent-Rendite betrieben werden. Sie kann auch - aus Umwelt-, Klima und sozialen Gründen - als Zuschussbetrieb akzeptiert werden. Private Investoren rechnen jedoch mit zwölf, fünfzehn und mehr Prozent Kapitalrendite (Gewinne auf das eingesetzte Kapital). Die Rendite der DB AG lag 2007/2008 bei maximal vier Prozent. 2009 ist sie drastisch in Richtung Null gesunken (wenn die Sondergewinne aus der Kapitalisierung einer Rückstellungs-Auflösung für Stuttgart 21 herausgerechnet werden).2
Eine aus Sicht der privaten Betreiber erforderliche Ververvier- bis Verfünffachung der Rendite führt unter anderem dazu, dass man sich bei allen Angeboten auf diejenigen Strecken und Fahrtzeiten konzentriert, die die höchsten Renditen abwerfen. Private Investoren werden im Umkehrschluss darauf drängen, Strecken und Angebote, die niedrige Renditen bringen, auszudünnen oder nicht mehr zu betreiben. Alternativ werden sie von Bund, Länder und Kommunen ständig höhere Unterstützungsleistungen fordern, mit dem Argument, dass nur bei solch höheren staatlichen Zuschüssen ein weiterer Betrieb in diesen Segmenten aufrecht erhalten werden kann.
In diesem Sinn gehen die Gutachten von Morgan Stanley und Booz Allen Hamilton von weiteren, deutlichen Kappungen des Gleisnetzes aus. Die Bundesländer haben 2007 im Rahmen  ihrer Kritik am ursprünglichen Bahnprivatisierungsgesetz - mit einem integrierten Börsengang - publik gemacht, dass es bahninterne Pläne zu einem weiteren Abbau des Netzes von 6.000 bis 10.000 Kilometer gibt.
Den entscheidenden Abbau der Schienenverkehrsangebote wird es zumindest zunächst im Fernverkehr geben. Da der Nah- und Regionalverkehr zu rund zwei Drittel über die staatlichen Regionalisierungsmittel finanziert wird, können die Bundesländer, die diese Mittel vergeben und die den Nahverkehr bestellen, zunächst noch ein relativ flächendeckendes Angebot gewährleisten. Allerdings drohen auch hier Einschränkungen dann, wenn die Bundesregierung - etwa nach der NRW-Wahl vom Mai 2010 - massive Einsparungen verkündet.
Der Fernverkehr wird jedoch ausschließlich eigenwirtschaftlich betrieben. Hier gibt es bisher auch kein Bestellerprinzip, eben weil hierfür keine Mittel vorgesehen sind. Vorschläge, man müsse auch in diesem Segment staatliche Unterstützunszahlungen für spezifische Fälle vorsehen, sind illusionär angesichts der Wirtschaftskrise, der angestiegenen Staatsschulden und der zu erwartenden massiven Sparprogramme ab Mitte 2010. Richtig ist allerdings der Hinweis, dass die Verfassung eine gesetzliche Regelung des Fernverkehrs fordert - seit nunmehr eineinhalb Jahrzehnten.3
Die Bilanz: Sobald der Fernverkehr in starkem Maß von privaten Investoren bestimmt wird (und bereits dann, wenn die DB AG  und DB-ML ihre Bilanzen für die Teilprivatisierung schön rechnen), wird es einen massiven Kahlschlag dort geben, wo die gängigen Rendite-Erwartungen nicht erfüllt werden können.

5 Flickenteppich
Private Betreiber werden ihren Betrieb nach den eigenen Interessen und Bedürfnissen ausrichten. Darunter müssen notgedrungen leiden:
  • ein einheitlicher Fahrplan
  • einheitliche Tarife (z. B. keine durchgängige Gültigkeit einer BahnCard 50)
  • einheitliche soziale Standards (Infragestellung von Sonderbedingungen für Schwerbehinderte; von Ermäßigungen für Gruppen, von einer kostenlosen Mitnahme von Kindern und Jugendlichen)
  • und einheitliche Standards für Sicherheit und Service.
Im Ergebnis bekommen wir einen Flickenteppich auf all diesen Ebenen. Das mag für einen Menschen, der auf einer Verbindung im Nah-  oder regionalen Verkehr regelmäßig pendelt, gleichgültig sein. Für die Schiene als Gesamtsystem und für einen Schienenverkehr als potentielle und reale Alternative zum Straßen- und teilweise zum Luftverkehr ist ein solcher Flickenteppich kontraproduktiv.4

6 Sozialdumping und soziale Folgen der Zerschlagung des Unternehmens
Wenn Strecken ausgeschrieben werden oder wenn einzelne private Betreiber in Konkurrenz zueinander treten, dann findet bereits jetzt in der Regel der reale Wettbewerb im Bereich des Sozialdumpings und des Wettbewerbs um einen beschleunigten Abbau von Personal statt. Der
Druck auf die Löhne der Beschäftigten hat sich seit der Bahnreform des Jahres 1994 deutlich erhöht.
Sozialdumping ist aus sozialen Gründen und aus gewerkschaftspolitischer Sicht abzulehnen, zumal hier eine nicht enden wollende Spirale nach unten in Gang gesetzt wird. Diese Entwicklung steht aber auch in Widerspruch zu den Interessen der Fahrgäste, für die dies mit einem weiteren Abbau von Service und Sicherheit verbunden ist. Das Desaster mit den ICE-Radsatzwellen, mit den vielen schadhaften Güterwaggons (und den jüngsten dramatischen Entgleisungen von Güterzügen im Januar 2010) und die seit Frühsommer 2009existierende Dauerkrise bei der Berliner S-Bahn wurden in starkem Maß durch den Abbau von Personal, von Wartung und der Schließung von Werkstätten und Instandhaltungsanlagen verursacht.
Wenn private Investoren den Transportbereich umfassend bestimmen und wenn die Einheit des Bahnkonzerns aufgebrochen wird, dann werden sich die Tendenzen des Sozialdumpings, des Outsourcing, des Einsatzes von Leiharbeitskräften usw. nochmals deutlich verschärfen. Gleichzeitig wird es es zu einem weiteren Abbau der Bahnbelegschaft um 50.000 bis 80.000 Arbeitskräfte kommen.

7 Statt Wettbewerb neue, private Monopole
Ein Argument für eine Privatisierung des Bahnbetriebs lautet, Wettbewerb belebe das Geschäft. Das ist irreführend. Zunächst gibt es bereits heftigen Wettbewerb - denjenigen zwischen Straßen-, Luft- und Schienenverkehr (im Güterverkehr zusätzlich: denjenigen mit der Binnenschiffahrt). Aufgrund der skizzierten systematischen Benachteiligung der Schiene in diesem umfassenden Verkehrssektor erweist sich bereits dieser Wettbewerb für die Schiene als mörderisch; sie verliert dabei ständig Anteile.5
Auch im Bahnnetz gibt es traditionell den Wettbewerb zwischen der Deutschen Bahn AG,  den Länder- und kommunalen Bahnen und den neuen privaten Betreibern.
Grundsätzlich gibt es auf der Schiene -zumal auf einer spezifischen Schienenverbindung - jedoch systembedingt (so gut wie) keinen klassischen Wettbewerb, wie es ihn auf der Straße, in der Luft und im Binnenwasserverkehr gibt. Die enge Verzahnung des Rad-Schiene-Systems (siehe oben Punkt 1) und der spezifische Netzcharakter im Schienenverkehr bringen es mit sich, dass private Betreiber kaum direkt mit anderen privaten oder staatlichen Betreibern konkurrieren. In der Regel erhalten private Betreiber Konzessionen für ein bestimmtes Netz, für eine bestimmte Strecke usw. und dies für einen festgelegten Zeitraum von mehreren Jahren..
Auf diese Weise kommt es zur Bildung von regionalen Betreiber-Monopolen. In der Regel folgt bald darauf die Konzentration unter den privaten Betreibern, so dass es bald Oligopole im Gesamtnetz und Monopole in Teilnetzen gibt.
Dies sind auch die Erfahrungen aus der Eisenbahngeschichte. Dies ist heute Realität im US-Güterverkehr auf Schienen. Dies entspricht den Erfahrungen bei den jüngeren Privatisierungen in Japan und Großbritannien. Damit gibt es die vielfach behaupteten Vorteile eines echten Wettbewerbs nicht: Es kommt zum Gegenteil: Die Fahrgäste werden abhängig von der Willkür der nunmehr überwiegend privaten Oligopolisten und Monopolisten.
Die Kritiken an dem zur Zeit dominanten »staatlichen Monopolisten« Deutsche Bahn AG sind durchaus oft berechtigt. Die Gründe dafür liegen jedoch oft gerade im Privatisierungskurs - die DB AG agiert längst so, als wäre sie eine Börsenbahn. Und der staatliche Eigner lässt sie nicht nur dies tun - er treibt sie in diese Richtung.
Im Fall eines privaten Monopolisten oder mehrerer großer privater Betreiber wird es jedoch noch weit mehr Anlass zu einer Kritik wie derjenigen, die aktuell an die DB AG zu richten ist, geben.
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Bilanz
Auch eine Privatisierung ausschließlich des Transportbereichs bzw. der DB ML kommt die Gesellschaft, die Fahrgäste, die Bahnbeschäftigten und nicht zuletzt Umwelt und Natur teuer zu stehen.
  • Die Schiene verliert weitere Anteile im Verkehrsmarkt
  • Das Schienenverkehrsangebot verschlechtert sich
  • Umwelt und Klima werden verstärkt belastet - als Resultat der weiteren Zurückdrängung der Schiene im Verkehrsmarkt und der weiteren Stärkung von Straßen-und Luftverkehr
  • Im Schienenverkehr und in der Bahntechnik sinkt das Lohnniveau; weitere Zehntausende sinnvolle Arbeitsplätze werden zerstört
  • Die volkswirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Kosten erhöhen sich (u.a. durch die Umwelt- und Klimabelastungen, aber auch durch erneut steigende Arbeitslosenzahlen).
Insgesamt wird die Option auf die notwendige Verkehrswende - und damit die Zukunftsfähigkeit der Verkehrspolitik - aufs Spiel gesetzt. Die Alternative zum »integrierten Börsengang« heißt nicht »Trennungsmodell«. Sie heißt allerdings auch nicht »Weiter so« mit der bestehenden, Millionen Fahrgäste nervenden Deutschen Bahn AG. Sie bedeutet schon gar nicht ein Zurück zu einer starr-zentralistischen Staatsbahn.
Erforderlich ist als Alternative vielmehr eine Bahn in öffentlichem Eigentum, die bei den grundlegenden Standards wie Fahrplan, Tarife, Sicherheit so zentral wie nötig und in den Eigentumsformen so dezentral und bürger- und kundennah wie möglich organisiert ist.
Die Bahn in der Schweiz (SBB) ist und bleibt diesbezüglich - trotz mancher Tendenzen in eine Richtung, wie wir sie Mitte der 1990er Jahre in Deutschland mit der Bahnreform als Vorspiel auf die konkreten Bahnprivatisierungsmodelle erlebten - ein Vorbild. Dieses Modell muss für deutsche Verhältnisse weiterentwickelt und konkretisiert werden.
Gleichzeitig gilt es, von vornherein eine kontinentale Sicht einzunehmen: Sinnvoll ist nicht ein Zurück ins vorletzte Jahrhundert mit ihren nicht kompatiblen Klein- und Konkurrenzbahnen. Erforderlich ist eine europaweite Kooperation aller Eisenbahnen: Notwendig ist die Bildung der Alliance of the United European Railways.
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1 Siehe das Papier Winfried Wolf, Linien-Busfernverkehre - neues Kesseltreiben gegen die Schiene, Januar 2010.
2 Vgl. Thomas Wüpper, ....
3 Der 1993 wegen der Bahnreform neu eingefügte Grundgesetz Artikel 87e lautet: ?Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Aufbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt?. Während Nahverkehrs-Gesetze der Länder, die die 1994er Neuregelung der Bahnreform untersetzen, in den Jahren 1994 bis 1997 verabschiedet wurden, wurde versäumt, ein Bundesgesetz zur Regelung des Schienenpersonenfernverkehrs zu beschließen.
4 Tendenzen zu einem solchen Flickenteppich gibt es längst. In großen Teilen von Schleswig-Holstein hat die BahnCard 50 nicht (mehr) Gültigkeit. Bei einzelnen privaten Regionalbahnen gibt es solche Flickenteppich-Entwicklungen längst in großem Maßstab. Ein Beispiel: Seit dem 1.8.2006 hat die Bayerische Oberlandbahn (BOB) die Anerkennung von Fahrscheinen der Deutschen Bahn AG auf einzelnen Strecken eingestellt. Grund: die DB AG weigert sich, bei der Anerkennung des DB-Tarifs in den Zügen der BOB ihre Ausgleichszahlungen an die gestiegenen Fahrgastzahlen der BOB anzupassen. Andererseits gibt es bei der BOB keine kostenlose Mitnahme von Kindern - im Gegensatz zur DB AG. Vgl. Der Fahrgast, herausgegeben vom Fahrgastverband Pro Bahn, 4/2007, S.30ff.
5 Die externen Kosten des Verkehrs - der nicht in den Transportpreisen integrierten Kosten (z.B. für Unfallfolgen., Lärmbelästigung, Umweltschäden usw.) beliefen sich im Jahr 2004 in Westeuropa auf rund 650 Mrd. Euro, was knapp 10 Prozent des westeuropäischen Bruttoinlandprodukts entsprach. 98 Prozent davon entfallen ausschließlich auf den Straßen- und den Luftverkehr; der Rest auf die Schiene und die Binnenschifffahrt. Würden diese »externen«, aber durchaus realen »Kosten« nur zu einem Teil den Verkehrsträgern angerechnet, könnte die Schiene binnen kurzem deutliche Marktanteile zurück erobern. Externe Kosten nach: Studien der Institute IWW (Karlsruhe) und INFRAS (Zürich) im Auftrag der UIC, zuletzt erschienen 2005.