Elektro-Auto-Mobilität. Oder: Die Reformlüge der Autoindustrie

Unter den Bedingungen einer weltweiten Strukturkrise der Autoindustrie kommt es nicht nur zu einer Umstrukturierung der Branche. Es kommt auch zum Versuch, ein neues Geschäftsmodell für die Autoindustrie zu entwickeln.

Denn die Krise des Fahrzeugbaus ist keine rein ökonomische; sie ist mit der Umwelt- und Klimakrise, die Teil der Weltwirtschaftskrise ist, verknüpft. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass sich daraus auch eine kulturelle oder eine „Sinnkrise“ entwickelt – so wie eine andere Industrie, die ebenfalls ein Suchtmittel herstellt, die Nikotinbranche, vor rund zwei Jahrzehnten in eine bis dahin unvorstellbare Sinnkrise abglitt. Zwar missglückte die innere Reform der Tabakindustrie ("leichte" Zigaretten, Menthol-
Zigaretten, schlanke "Damen-Zigaretten"), zumal sich herausstellte, dass gerade Mentholzigaretten spezifische Giftstoffe enthalten. Doch warum sollte man
Vergleichbares nicht in der Autoindustrie zumindest versuchen? Zumal ein anderer Teil der Strategie der Tabakindustrie durchaus Parallelen zur aktuellen Lage im weltweiten Fahrzeugbau aufweist: Die großen US-amerikanischen und europäischen Tabakkonzerne nehmen es inzwischen – auch aufgrund erheblicher
juristischer Risiken, die mit großen Verlusten verbunden sind - weitgehend hin, dass der Zigarettenkonsum in Nordamerika und Westeuropa rückläufig ist und dass in diesen Regionen allgemein anerkannt wird, dass Nikotin in jedem Jahr bei Hunderttausenden Menschen den Krebstod bewirkt. Die Proteste gegen
Rauchverbote in Kneipen wurden denn auch nicht in erster Linie von der Tabakindustrie angeführt.


Tatsächlich orientieren dieselben Konzerne auf die Schwellen- und Entwicklungsländer, wo sie seit Jahren bedeutende Umsatzgewinne und Profitsteigerungen realisieren. Ähnlich die Strategie der weltweite Autoindustrie: Es gibt Massenmotorisierung pur – und zwar in konventioneller Form auf Basis von Verbrennungsmotoren - in den Schwellenländern. Vor allem in China, Indien und Brasilien. Dagegen gibt man sich in Nordamerika, Japan und Europa aufgeklärt, selbstkritisch und ökologisch bewußt...


Statt Marlboro light Auto light - die immanente Reform der Autogesellschaft steht auf der Tagesordnung. Barack Obama propagiert im Rahmen eines New Green
Deals eine gezielte Förderung von Pkw-Modellen, die vor allem auch als Elektromobile unterwegs sein sollen. Der aus dem Konkursverfahren neu auferstandene Riese GM setzt einen großen Teil seiner Hoffnung auf sein E-Pkw-Modell Chevrolet Volt (was dann in Europa als Opel Ampera vermarktet wird). Carlos Ghosn, Chef von Nissan und Renault, kündigte Ende Juni 2009 an, man werde ab 2012 als erster Konzern mit der Massenfertigung von reinen Elektroautos
starten – in Japan und in einem neuen Werk im USBundesstaat Tennessee. Der französisch-japanische Konzern setzt dabei darauf, dass die US-Regierung die Errichtung der neuen Fabrik generös subventioniert. Peugeot will bereits im Herbst 2010 mit einem Elektro-Pkw am Start sein (es handelt sich allerdings faktisch um einen Mitsubishi-Pkw, der als Mitsubishi i-MiEV heißt, als Citroen C-Zero und bei Peugeot als iOn firmiert).


Der aktuelle Weltmarktführer, Toyota, der sich ebenfalls in einer tiefen Krise befindet, setzt inzwischen fast alles auf die Karte Hybrid-Pkw: auf Autos mit einem Benzin- und einem ergänzenden Elektromotor. Derart grün gemäntelt teilte das Management im Juli 2009 mit, ab 2010 keine Formel-I-Rennen mehr auszutragen. Kurz darauf fasste BMW denselben Beschluss: Ausstieg aus der Forrmel I. Beide Weltkonzerne wollen also zumindest teilweise auf Elemente verzichten, die von Stunde Null an mit der Autoindustrie verbunden waren: Geschwindigkeitswahn,
PS-Hybris und das selbstmörderische und andere bedrohende Macho-Gehabe.

Henry Ford hatte für seine ersten Pkw-Modelle mit Autorennen geworben. Mussolini und Hitler setzten als eine ihrer ersten Maßnahmen die Aufhebung aller
Geschwindigkeitsbegrenzungen durch. Formel-1-Boss Bernie Ecclestone erklärte im Juli 2009 einem Interview mit der Londoner „Times“, wie wichtig neben schnellem Autofahren auch das schnelle Entscheiden sei, weswegen „auch Hitler auf diese Weise eine Menge Dinge erledigen konnte“.


Seit Beginn der Branchenkrise propagieren Blätter, die zumindest bisher jede ökologische Reform abgelehnt hatten, die Elektromobilität als die Zukunft der
Autobranche. „Unter Strom - Das Rennen um die Elektromobilität steht vor dem
Start", so lautete die Überschrift einer Beilage der "Süddeutschen Zeitung" zum Thema "Alternative Antriebe" (Ausgabe vom 2. 5. 2009). Die "Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung" träumte in großer Aufmachung den "Traum der elektrischen Mobilität" (Ausgabe vom 1. 2. 2009). In der "Wirtschaftswoche"
wurde auf acht Seiten über "Big Buzziness" berichtet; die einleitenden Sätze lauteten: "Der hohe Ölpreis treibt die Autoindustrie in eine Revolution: Dem Elektroantrieb gehört die Zukunft." (Ausgabe vom 30.6.2008). Der „Spiegel“ berichtete im Juli 2009 über eine „noble Nussschale“, darüber, dass jetzt selbst Aston Martin, der Hersteller von superteuren Pkw, einen „Stadtwagen“ anbieten will, den es auch in Hybrid-Version gibt – der aber nur an denjenigen ausgeliefert wird, der bereits einen „echten“ Aston Martin besitzt oder der beide im Doppelpack bestellt. O-Ton „Der Spiegel“:“Die noble Nussschale trägt somit eine Botschaft von obszöner Raffinesse an die Königsalleen dieser Welt: Wer den hier hat, hat auch das dicke Ding.“ (Ausgabe 27/2009). In der "Süddeutschen Zeitung" plädieren im Mai 2010 Weert Canzler und Andreas Knie für eine "schöne neue Elektrowelt", in der "Elektroautos wie Busse und Bahnen praktisch jedem an öffentlichen Parkplätzen und überall an den Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs zu Verfügung stehen". Im gleichen Atemzug machen sie den öffentlichen Verkehr madig und konstatieren demagogisch: "Die Betreiber von Bussen und Bahnen sind aufgefordert, ihre staatlich finanzierte Trägheit aufzugeben und sich aus der Gedankenwelt des 19. Jahrhundert zu befreien." (SZ vom 31.5.2010).


Elektromobilität – welche?
Am 29. April 1899 durchbrach in der Nähe von Paris das erste Fahrzeug der Automobilgeschichte die Geschwindigkeitsgrenze von 100 Stundenkilometer.
Es handelte sich um ein Elektroauto. Am Steuer saß der Belgier Camille Jenatzky; das Gefährt trug den Elektro-Auto-Wahn-Namen "La Jamais Contente –
Die nie Zufriedene“.

Es kam dennoch zu einer anderen Art der Automobilität, derjenigen, die auf dem Verbrennungsmotor basiert. Das lag nicht zuletzt daran, dass Rockefeller mit Standard Oil und angeschlossenen Banken bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die wichtige aufsteigende Kapitalfraktion waren. Der Pkw sollte zum Vehikel beim Vormarsch dieser Kapitalgruppe werden, was gleichzeitig erforderte, die Eisenbahnkönige zu stürzen. Eine Pkw-Elektromobilität stand auch in Widerspruch zu der Haus-im-Grünen-Ideologie und den profitablen und Klassensolidarität eindämmenden Zersiedelungstendenzen, die sich in den USA bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in engem Zusammenhang mit der Automobilisierung herausbildeten.


Henry Ford schrieb 1922 in seiner Autobiographie, auf die Jahre 1907-1910 zurückblickend: "Ein Landstraßengefährt ließ sich nicht nach dem System der elektrischen Bahnen anlegen, selbst wenn die elektrischen Drähte weniger teuer gewesen wären. Keine Akkumulatorenbatterie ließ sich nur annähernd innerhalb vernünftiger Gewichtsgrenzen halten. Ein elektrischer Wagen hat notwendigerweise nur einen beschränkten Aktionsradius und bedingt einen motorischen Apparat, der in keinem Verhältnis zu der abgegebenen elektrischen Arbeit steht." (Henry Ford,
My Life and Work, 1922.)


Immanente Probleme
Die von Ford beschriebenen Probleme mit dem E-Auto als "Alternative" sind nicht unähnlich den aktuellen. Selbst wenn wir davon absehen, dass es noch ein knappes Jahrzehnt dauern wird, bis diese Technik ausgereift ist, und ein weiteres Jahrzehnt, bis ein größerer Bestandteil der Pkw-Flotte aus Elektroautos besteht, so weist das Elektroauto zunächst aus vier immanenten Gründen keine überzeugende Perspektive:


Erstens bleibt die Reichweite der Elektroautos ein ernsthaftes Problem. Bei einem Einsatz moderner Lithium-Ionen-Akkumulatoren liegt der Radius von reinen Elektroautos Mitte 2009 bei rund 80 bis 90 km. Erwartet wird, dass er auf 150, möglicherweise 180 km gesteigert werden kann. Da das Aufladen der Batterien sehr zeitaufwendig ist, gestattet die Elektroautomobilität im Wortsinn keine größeren Sprünge. Es sei denn, man baut ein flächendeckendes System von
Wechselstationen auf, an denen der leere Akku gegen einen vollen eingetauscht werden kann. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur ist allerdings immens teuer
und nur für dichte Besiedlungsräume oder kleine "kompakte" Länder vorstellbar. Dies bedeutet auch, dass je Pkw nicht eine, sondern rund 1,5 oder gar 1,7 Batterien vorzuhalten sind – womit sich die Kosten dieses System noch mehr erhöhen.


Dennoch ist das ein Weg, der aktuell gegangen werden soll: Der Unternehmer Shai Aggassi, ein ehemaliger Vorstand des Softwarekonzerns SAP, propagiert mit seinem Unternehmen Better Place das Projekt von flächendeckenden Akku-Wechselstationen. Er konnte 2007 und 2008 die Regierungen in Tel Aviv und Kopenhagen dafür gewinnen, bis 2011 in ihren jeweiligen Ländern jeweils eine halbe Million solcher Ladestationen aufzubauen. Im Jahr 2009 wurde damit
begonnen, dieses Projekt in den beiden Ländern umzusetzen.


Dabei fließen enorme staatliche Subventionen in seine Umsetzung. Der Nissan- und Renault-Konzernchef Carlos Gohn erklärte bei der Vorstellung des E-Autos „Leaf“ im August 2009: „Wir gehen in Märkte, wo es Unterstützung gibt; wo es keine Unterstützung gibt, gehen wir nicht hin.“ (Financial Times Deutschland vom 3.8.2009). Selbst wenn das Projekt in einem der zwei genannten Länder ansatzweise verwirklicht werden kann, so spricht doch fast alles dafür, dass eine Ausweitung dieser Konzeption auf Flächenstaaten scheitern muss. Die Konzentration der E-Mobilität jedoch auf Städte oder Ballungsgebiete ist jedoch eine besonders fatale Form der E-car-mobility, da hier Raum knapp ist und der Flächenverbrauch im Pkw- Verkehr das Vielfache des Flächenverbrauchs eines
ÖPNV darstellt (siehe unten beim Thema „Systemnachteile“).


Grundsätzlich sind Elektromobile so konzipiert, dass sie die herkömmliche Automotorisierung mit traditionellen Motoren ergänzen – und nicht ersetzen. Das
hohes Gewicht der Batterien und die kurze Reichweite der Tankfüllungen führen dazu, dass reine Elekroautos überwiegend für Kleinwagen konzipiert werden. Traditionelle Mittelklasse-Pkw und Oberklasse-Limousinen sind, insoweit sie nicht ausschließlich mit herkömmlichen Treibstoffen angetrieben werden, fast immer als
Hybrid-Pkw geplant, also als Autos mit einem Benzinund mit einem elektrischen Antrieb. Toyotas Modell Prius und Hondas Modell Insight sind bisher auch die zwei einzigen relativ erfolgreichen Pkw-Modelle mit Elektroantrieb, aber eben nur mit einem ergänzendem E-Antrieb. Bereits das Hybrid-Grundprinzip, zwei Motoren in einen Pkw zu installieren, deutet auf die Problematik der Elektromotor-Technik hin.


Zweitens sind Elektroautos „nur“ im direkten Einsatz – auf den Straßen - „saubere“ Fahrzeuge – ohne Ausstoß von CO-2-Emissionen. Die entscheidende Frage ist jedoch, auf welche Weise wird der Strom hergestellt, mit dem die Batterien geladen werden. Oft wird die „Elektromobilität“ von traditionellen großen Stromkonzernen propagiert. So arbeitet der deutsche Stromriese RWE bei der Entwicklung des E-Autos eng mit Daimler zusammen. Im Frühjahr 2009 entschied sich Frankreichs Präsident Nicolas Sárcozy, Fördermittel für die Elektromobilität in Höhe von 400 Millionen Euro bereit zu stellen. Das Land hat erhebliche Stromüberkapazitäten; 90 Prozent des Stroms wird in Atomkraftwerken erstellt. Unter den gegebenen Bedingungen wird die Elektroautomobilität dazu beitragen, diese bestehende, Menschen und Umwelt extrem gefährdende Struktur der Stromerzeugung zu verfestigen.


Für Elektroautos im Deutschland der Jahre 2009/2010 gilt: Deren Batterien werden mit dem bundesdeutschen Mix von 23 Prozent Atomstrom, 60 Prozent Strom aus fossilen Brennstoffen und nur rund 15 Prozent Strom aus erneuerbaren Energiequellen geladen. Bei dieser Stromstruktur kommen die Treibhausgase anstatt aus den Kfz-Auspuffrohren aus den Kraftwerkskaminen. Die Kohlendioxidemissionen liegen dann weitgehend auf der gleichen Höhe wie
die Emissionen eines herkömmlichen Kleinwagens. Entsprechend bilanzierte noch im Mai 2010 Christopher Schrader in der „Süddeutschen Zeitung“: „Sollen
Elektroautos mit den besten Fahrzeugen (mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren) mithalten, dann dürfen sie nicht mehr als 17 Kilowatt auf 100 Kilometer verbrauchen. (...) Der reale Verbrauch im Alltag liegt jedoch oft weit darüber – schon weil die Heizung im Winter direkt aus der Batterie bestritten wird.“
(1. Mai 2010).


Drittens gibt es beim E-Auto ein Kosten-Problem. 2009 liegen die zusätzlichen Kosten für ein Elektro- Pkw im Vergleich zu einem Diesel- oder Benzin-Pkw bei 15.000 bis 30.000 Euro. Der in Kleinserie gefertigte und viel gefeierte Sportwagen Tesla kostet bescheidene 110.000 US-Dollar (obgleich der Hersteller allein 2009 465 Millionen US-Dollar an Regierungsunterstützung erhält). Nach Einschätzung der
meisten Experten wird auch in 15 oder 20 Jahren, Entwicklungssprünge bei der Batterietechnik bereits eingerechnet, bei einem Elektromobil mit einigen Tausend Euro an zusätzlichen Kosten zu rechnen sein. Konkret: Die zusätzlichen Aufwendungen für die Batterie-Technik werden damit immer höher liegen wie die gesamten Kosten eines Tata Nano-Modells (mit Verbrennungsmotor). Der Nano kostet 1800 Euro – die Batterie für ein reines Elektroauto wird auch in zehn Jahren mehr als 2500 Euro kosten. Womit schon einmal klar gestellt ist, dass die zu erwartende Massenmotorisierung in Schwellenländern wie Indien und China in erster Linie mit Pkw mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren vollzogen werden wird.


Viertens sind ausgerechnet Elektro-Autos, die ja eine Antwort auf die Endlichkeit des Erdöls sein sollen, mit der Endlichkeit mehrerer strategischer Rohstoffe
konfrontiert. In den Worten von Sylvia Liebrich in der „Süddeutschen Zeitung“: „Kaum eine der Schlüsseltechnologien, auf die die Autoindustrie setzt, kommt
ohne seltene Rohstoffe aus. (...) Doch die Versorgungmmit diesen wertvollen Stoffen gilt als Achillesferse einer modernen Autoindustrie, die ohne Sprit und
Diesel auskommen will.“ (30. 4. 2010). Längst hat ein Wettlauf der Autokonzerne zur Kontrolle und Vorratsbildung solcher für eine Elektro-Pkw-Mobilität
entscheidender Rohstoffe – etwa Lithium, ein für die Batterietechnik entscheidender Rohstoff – begonnen. Kommt es tatsächlich zu einer Massenmotorisierung auf Basis von Elektroautos, so dürfte die Endlichkeit solcher Rohstoffe größer als die des Erdöls sein. Man gelangt dann vom Öl-Regen im die Lithium-Traufe. Die
Pkw-Mobilität wird dann von zwei Seiten her grundsätzlich in Frage gestellt – durch peak oil und durch den peak bei strategischen Rohstoffen.


Die vier immanenten Kritikpunkte an der Elektromobilität verdeutlichen, worauf dieses Modell hinausläuft. Es geht darum, in den hoch motorisierten Regionen
einen zusätzlichen Markt zu schaffen, eine neue Offensive im Bereich der Kleinwagen, der Stadtwagen, der shoppingcars usw. durchzuführen. Adressat sind
besser betuchte Angehörige der Mittelklasse, für die das Elektromobil der Zweit- und Drittwagen ist und die sich umweltbewußt geben. In Schwellenländern wie China wird der Elektro-Pkw die Pkw-Motorisierung der Mittelschichten begünstigen – und vor allem in großen Städten (mit weitreichenden Auflagen gegen
Luftverschmutzung) eine wichtige Rolle spielen. Doch gerade in den Städten sind die Systemnachteile der Pkw-Motorisierung enorm – und werden verdeutlichen,
dass der Pkw an sich als Träger massenhafter motorisierter Mobilität einen Weg in die Sackgasse darstellt.


Elektroautos, aber keine Elektro-Lkw und keine 3-Liter-Pkw
Die Elektroautomobilität ist nur bei wenigen Vorzeigemodellen für weitere Strecken – für Autobahnfahrten, Urlaubsreisen usw. - gedacht. Nun ist zwar der Hinweis richtig, dass mehr als zwei Drittel aller Pkw- Kilometer im Entfernungsbereich von weniger als 15 km stattfinden. Doch das ist seit einem Jahrhundert der Fall. Auch werden seit gut zwei Jahrzehnten die mit einem Pkw pro Jahr durchschnittlich zurückgelegten Kilometer weniger. Auch sinkt der Auslastungsgrad bei jeder Pkw-Fahrt. Dennoch wurden die Pkw größer, schwerer, schneller und PS-stärker. Dennoch erhöhte sich die Reichweite eines durchschnittlichen Pkw bei voller Nutzung einer Tankfüllung. Mit manchen Modellen kann man mit einer Tankfüllung fast die gesamte deutsche Republik von Nord nach Süd durchqueren. Das macht zwar fast niemand. Doch es scheint gut sein zu wissen, das man gegebenenfalls
eine derartige Großtat realisieren kann.

Dafür gibt es spezifische – auch massenpsychologische – Gründe: Männlichkeitswahn, Machbarkeitsmanie, Fluchten aus der Alltagsentfremdung. Die Entwicklung von Elektroautos wird diese wenig rationalen Gründe, die für eine solche Übermotorisierung und für diesen PS-Wahn sprechen, nicht obsolet machen. Im Gegenteil. Die E-Autos werden als Alibi dafür herhalten, dass es nicht zu grundsätzlichen Veränderungen im Verkehrsbereich kommt. Interessanterweise ist doch: Es gibt keine ernst zu nehmenden Vorschläge, wie Lkw oder Flugzeuge in
mittlerer Frist auf ihre Diesel- und Kerosin-Antriebsaggregate verzichten und „alternativ“ angetrieben werden könnten. Der gleiche „umweltbewusste“ Konzern
Toyota setzt in der Krise auf eine Stärkung seiner Lkw-Tochter Isuzu, deren Top-Management nicht eine Sekunde über Elektro-Lkw nachdenkt. Daimler denkt
nicht ernsthaft daran, seine Daimler- und Freightliner- Lkw oder seine Busse auf Batteriebetrieb umzustellen. Dabei kommen die das Klima schädigenden Emissionen des Nutzfahrzeug (Lkw und Busse) und des Flugverkehrs bereits auf mehr als ein Drittel des Niveaus der Pkw-Emissionen.


Grotesk ist die Debatte um Elektroautos vor dem Hintergrund der Motorentechnik. Selbst wenn alle genannten kritischen Aspekte nicht existierten, so könnte ein großangelegter Einsatz von Elektro- Pkw nur einen Teil des absehbaren Zuwachses der weltweiten Pkw-Flotte auf sich konzentrieren. Damit aber würden der Kraftstoffverbrauch und die mit ihm verbundenen Kohlendioxidemissionen nicht reduziert, sondern lediglich ihr Anstieg gedämpft.


Nun ist die Motorentechnologie längst so entwickelt, dass eine Reduktion des spezifischen Kraftstoffverbrauchs eines Ottomotors auf ein Drittel (auf 3 Liter je 100 Kilometer) und vergleichbare Reduktionen bei Diesel-Motoren in relativ kurzer Frist - in maximal drei Jahren - möglich sind. Dafür wäre keine neue Infrastruktur und keine einzige Batteriefabrik, sondern „nur“ der politische Wille erforderlich. Damit könnte binnen weniger Jahre der weltweite Kfz-Kraftstoffverbrauch halbiert werden. Das absehbare weitere Wachstum der Pkw-Flotte mit einbezogen, könnte in jedem Fall ein deutlicher Rückgang des Kraftstoffverbrauchs und der damit verbundenen Kohlendioxidemissionen erzielt werden. Doch auf ein derart banales und doch wirkungsmächtiges Ziel wird nicht orientiert. Im Gegenteil. Nach Beginn der neuen Krise der Autoindustrie kam es in der EU zu neuen Interventionen der Autolobby, worauf die bisher mühsam vereinbarten Umweltauflagen für Kraftfahrzeuge – bis 2012 maximal 130 g CO-2-Ausstoß je Kilometer - weiter verwässert werden. Die aktuelle Pkw-Flotte in Deutschland – Basisjahr: 2008 – hatte noch den hohen durchschnittlichen CO-2-Ausstoß von 165 Gramm je Kilometer.


Fünf Systemnachteile des Autoverkehr
Grundsätzlich gilt: Selbst wenn die E-Autos eine ausreichende Reichweite hätten, selbst wenn sie komplett mit Solarstrom betrieben würden, auch wenn sie preislich erschwinglich wären und sogar dann, wenn es keine Knappheit bei den neuen Rohstoffen, die Grundlage der E-Pkw-Mobilität sind, geben würden, so sprechen doch fünf Systemfaktoren gegen eine Elektro-Pkw-Mobilität:


(1) Straßenfahrzeuge (Pkw, Lkw, Busse) haben im Vergleich zu schienengebundenen Fahrzeugen eine weit höheren Rollwiderstand. Das führt zu einem ver gleichsweise hohen spezifischen Energieaufwand. Der Energieaufwand zur Beförderung einer Person oder einer Ware ist deutlich niedriger, wenn dafür Schienenfahrzeuge (oder Busse) eingesetzt werden.


(2) Es gibt im Pkw-Verkehr ein extrem ungünstiges Verhältnis zwischen Totlast und Gewicht der Beförderten: In den OECD-Staaten verkehren je Pkw im Durchschnitt 1,3 Personen mit einem Gewicht von ca. 90 kg in einem Gefährt mit durchschnittlich 1,2 Tonnen Leergewicht, womit die Totlast beim 13- bis 15-fachen des Gewichts des (der) beförderten Menschen liegt. Ein Elektroauto hat in der für diese Verkehrsart entscheidenden Beförderungssegment sogar ein relativ größeres Gewicht, weil es mit Batterien und Motor schwerer ist als ein herkömmlicher Pkw (der Elektro- Smart oder der Elektro-Mini ist deutlich schwerer als der Smart oder Mini mit Verbrennungsmotor).


(3) Der Pkw-Verkehr beansprucht im Vergleich zu anderen Verkehrsarten (Fahrradverkehr, Fussgängerverkehr, Tram- oder Busverkehr) eine vier- bis zehnmal größere Fläche (für die Fahrten und die Stellplätze). Daher gilt die Formel: Je mehr Pkw es je 1000 Einwohner in einer Stadt gibt, desto weniger Fläche
bleibt für Kinder, Radfahrende, Fußgänger; für Freizeit, Erholung und Kommunikation.


(4) Der Pkw- und Lkw-Straßenverkehr ist mit einer enorm hohen Zahl von Verkehrstoten und Verletzten verbunden. Bei keinem anderen Verkehrsmittel würde
man einen derart hohen Blutzoll dulden. Beispielsweise müsste es bei einer vergleichbaren Unfallrate in Deutschland pro Jahr 400 Tote im Eisenbahnverkehr
geben (die unterschiedlichen Fahrleistungen bereits berücksichtigt). Allein im Zeitraum 1998 bis 2008 wurden auf dem Gebiet der gegenwärtigen Europäischen
Union (EU-27) 500.000 Menschen im Straßenverkehr getötet und mehr als 10 Millionen schwer verletzt. Elektromobilität würde grundsätzlich an den
Verkehrsopfer-Zahlen wenig ändern. Beziehungsweise eine bei E-Autos niedrigere Verkehrsopferzahl ist ausschließlich auf geringere Geschwindigkeiten und
geringere Beschleunigungskraft zurückzuführen, ein Resultat, das man weit billiger mit wirksamen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und PS-Reduktion erreichen könnte (zumal dann auch, siehe oben die Argumente zum Thema 3-Liter-Auto, die Schadstoffbelastung noch deutlich niedriger sein würde als bei Einsatz von Elektroautos.)


(5) Der Pkw-Verkehr hat die groteske, aus dem oben genannten dritten Systemnachteil resultierende Eigenart, dass sich bei ihm die Durchschnittsgeschwindigkeit in dem Maß reduziert, wie die Pkw- Dichte zunimmt. In Los Angeles gibt es die höchste Pkw-Dichte (900 Pkw auf 1000 Einwohner) und die höchste Highwaydichte; die durchschnittliche Geschwindigkeit bei Pkw-Fahrten ist auf die eines mittelmäßig sportlichen Radfahrers gesunken (knapp 20 km/h). Elektroautos sind zwar einerseits – aufgrund ihrer geringen Reichweite – wenig für Überlandfahrten für Urlaubsreisen oder für längere Freizeittrips geeignet. Es spricht zunächst viel dafür, diese vor allem im städtischen Verkehr einzusetzen. Andererseits ist der massenhafte Einsatz von Pkw gerade in dichtbesiedelten
Siedlungen und in Städten absurd. Je erfolgreicher dieses Modell der Pkw-Massenmotorisierung ist – und nochmals: das gilt auch für das Modell einer
Elektro-Pkw-Massenmotorisierung – desto sicherer endet es in der Sackgasse Dauerstau. Die neue „Mobilitätskultur“, von der Weert Canzler und Andreas Knie sprechen, mündet exakt in dieser Sackgasse. Die beiden Verkehrswissenschaftler erkennen zwar, dass das Elektroauto niemals den Pkw als „Rennreiselimousine“
ablösen kann. Bingo. Doch dann setzen sie – schließlich war der „Autogipfel“ bei der Bundeskanzlerin „beeindruckend“ - auf Elektro-Pkw´s als „Bausteine einer urbanen Zukunft“. Die Themen Flächenverbrauch, Betonisierung von „urbs / urbes“,
der Städte, damit Abbau von Urbanität, oder gar Tote und Verletzte sind kein Thema.


Doch just dies muss im Sinne einer Verkehrspolitik, die von Verantwortungsbewusstsein geprägt ist, die sich an Umwelt- und Klimaverträglichkeit orientiert und die auf tatsächliche Urbanität im Sinne von „Städte für die Menschen“ abzielt, im Zentrum stehen.

Alle diese fünf Systemnachteile des Straßenverkehrs bleiben bei einer Elektromobilität ganz oder weitgehend bestehen. Insofern verfolgen die Programme zur Elektromobilität vor allem die Ziele, die sich abzeichnende drastische Ölverknappung und eine neue Ölverteuerung hinauszuzögern, die Öffentlichkeit zu beruhigen und eine fatale Politik des “Weiter so!” zu befördern. Zukünftige Kriege um die Ölressourcen können dann damit begründet werden, es gehe “nur” darum, kurzfristig einen wichtigen Versorgungsengpass zu schließen. Im übrigen verfüge man über eine tragfähige Perspektive im Rahmen der bestehenden
Transportorganisation. Wobei es dann auch neue Kriege um die neue Knappheit derjenigen Ressourcen gibt, die für die Elektro-Pkw-Mobilität wichtig sind.


Elektromobilität existiert seit mehr als 100 Jahren
„Elektromobilität gibt es längst – auf der Schiene!“, so ein Kommentar des Bündnisses Allianz pro Schiene zur Debatte um Elektroautos. Dirk Flege, Geschäftsführer dieses Schienenbündnisses, konstatierte in diesem Zusammenhang: „Es ist ein folgenreicher Fehler, bei Elektromobilität ausschließlich an den Straßenverkehr zu denken. (...) Was wir brauchen ist eine Nationale Strategiekonferenz Mobilität, die auch den Schienen-, Rad- und Fußgängerverkehr mit einbezieht.“ (Pressemitteilung vom 25. 11. 2008).


Diese Argumentation lässt sich ergänzen: Wenn es denn gelänge, Autos mit nachhaltiger Energie – etwa mit Akkumulatoren, die zu 100 Prozent mit Solarstrom
aufgeladen werden - anzutreiben, dann spräche viel dafür, diejenigen Verkehrsarten, auf die die genannten Systemfaktoren nicht oder nur teilweise
zutreffen, als erstes auszubauen. Dann kommen erst recht die Vorteile der Elektromobilität Schiene zum Tragen. Im übrigen lässt sich kein Verkehrssystem so
schnell auf Solarstrom und Strom aus anderen regenerativen Quellen umstellen wie der Tram-, S-, U- und Eisenbahnverkehr. Elektro-Automobile hätten dann dort ihre Bedeutung, wo diese Verkehrs- und Transportform kaum ersetzbar ist: bei Kleinlieferwagen im Nah- und regionalen Bereich, bei Krankenwagen oder Feuerwehr und bei Taxen. Wobei dann Zwischenformen der Elektro-Mobilität in den Vordergrund drängen – beispielsweise der O-Bus (Trolley-Busse) oder
Schienenfahrzeuge, die innerhalb des Netzes mit Stromversorgung als elektrisch angetriebene Schienenverkehrsmittel verkehren und außerhalb solcher Netze – ergänzend – mit einem eigenen Elektromotor verkehren.

Wie immer man es dreht und wendet: Der aktuelle Hype für Elektro-Pkw weist in die Sackgasse.

von Winfried Wolf

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