Kundenfreundliche Bahn für alle

Am allerwichtigsten ist, dass die Bahn überhaupt vorhanden ist...
Rede von Sabine Leidig in der ersten Lesung des Antrags der Fraktion DIE LINKE "Kundenfreundliche Bahn für alle" (Drs. 17/8605); gleichzeitig auch 2./3. Lesung zum DIE LINKE. "Den Vorstand der Deutschen Bahn AG mit fachkundigem Personal besetzen" (Drs. 17/4838, Beschlussempfehlung 17/8383)

Rede Sabine Leidig



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Redetext der Rede von Sabine Leidig

Kundenfreundliche Bahn für alle

Am allerwichtigsten ist, dass die Bahn überhaupt vorhanden ist...

Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! 

Wir haben im Februar dieses Jahres einen Antrag mit dem Titel „Kundenfreundliche Bahn für alle“ eingebracht. Anlass war damals die noch nicht lange zurückliegende neuerliche Preiserhöhung.
Preiserhöhungen führen immer wieder zur Verärgerung von Bürgerinnen und Bürgern, die die Bahn benutzen, weil es ein Missverhältnis zwischen den ständigen Preiserhöhungen, die doppelt so hoch sind wie die allgemeinen Preiserhöhungen, und dem Service der Bahn gibt. Die Bahn bietet nicht die Annehmlichkeiten, die sie eigentlich bieten könnte, der Service ist nicht auf dem Stand, auf dem er sein sollte.

Ich weiß, dass es hier im Hause die Meinung gibt, dass sich die Bundespolitik komplett heraushalten muss, was die Ausrichtung der Deutschen Bahn AG anbetrifft. Ich bin da völlig anderer Meinung. In Art. 87 des Grundgesetzes steht explizit, dass der Bund die Verantwortung für das Schienennetz und auch für die Angebote auf diesem Schienennetz hat und sich dieses Angebot am Allgemeinwohl zu orientieren hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb hat der Bundestag auch die Verantwortung, Ziele vorzugeben. Das heißt nicht, dass man sich in das operative Geschäft der Bahn einmischt, aber ähnlich wie die Schweizerischen Bundesbahnen, bei denen die Ziele völlig klar sind - zum Beispiel wie viele Fahrgäste gewonnen werden sollen, wie dicht das Streckennetz sein soll und wie die Bahnhöfe ausgestattet werden sollen -, muss auch die Deutsche Bahn AG an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte die zentralen Punkte nennen, die aus unserer Sicht im Mittelpunkt einer solchen Ausrichtung stehen müssen. Am allerwichtigsten ist, dass die Bahn überhaupt vorhanden ist. Ich kann keine Kundinnen und Kunden gewinnen, wenn es gar keinen Bahnhof und keinen Bahnanschluss gibt. Faktisch wurde in den vergangenen 15 bis 20 Jahren das Streckennetz reduziert. Insbesondere in weiten Teilen Ostdeutschlands sind viele Städte und Gemeinden inzwischen vom Bahnverkehr abgekoppelt. Daran muss sich auf jeden Fall etwas ändern. Die Bahn muss eine Flächenbahn sein, zu der die Bürgerinnen und Bürger Zugang haben. Sie muss ein möglichst engmaschiges und intaktes Streckennetz haben, damit es verlässliche Fahrzeiten und verlässliche Zubringer zu den Knotenpunkten gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite wesentliche Punkt ist, dass die Bahnhöfe so gestaltet sind, dass alle zum Zug kommen können. Fakt ist, dass immer noch 2 000 Bahnhöfe in dieser Republik nicht barrierefrei sind. Das heißt, ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, oder eine alte Frau, die mit dem Rollator unterwegs ist, hat keine Chance, an diesen Bahnhöfen in einen Zug zu steigen. Ich finde, angesichts der Vereinbarungen zur Inklusion und der Verabredungen, die auch international getroffen worden sind, ist es ein unhaltbarer Zustand, dass es immer noch keinen Zeitplan gibt, der festlegt, bis wann alle Bahnhöfe, übrigens auch alle Züge, barrierefrei gestaltet werden müssen. Wir schlagen vor, dass es einen Zeitplan geben muss, nach dem spätestens bis 2020 alle Bahnhöfe barrierefrei sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört auch, dass es an den Bahnhöfen Personal geben soll. Es ist viel einfacher, mit der Bahn zu fahren, wenn man jemanden etwas fragen kann. Die Bahnhöfe in den kleinen Gemeinden sind nicht gastlich. Ich bin seit zehn Jahren autofrei unterwegs, und ich kann Ihnen sagen: Wenn man abends in irgendeinem kleinen Ort auf einem unbeleuchteten Bahnsteig steht, keine Chance hat, irgendwo einen Raum aufzusuchen, weit und breit keine Toilette ist und schon gar niemand, den man fragen kann, was denn los ist, wenn der Zug, auf den man wartet, nicht kommt, dann ist das alles andere als kundenfreundlich.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Es ist leider genau so! Ich muss den Zwischenruf machen, weil ich das genauso sehe!)

Daran muss unbedingt etwas geändert werden. Mehr Personal, mehr Motivation beim Personal, das ist auf jeden Fall auch gut für die Kundinnen und Kunden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich könnte jetzt noch eine ganze Reihe weiterer Punkte nennen; ich habe leider aber nur eine sehr kurze Redezeit. Ein entscheidender Punkt ist, dass wir ein Preissystem bekommen, das allen Menschen und nicht nur denen, die genug Kohle haben, das Bahnfahren möglich macht. Wir brauchen ein Sozialticket, auch im Fernverkehr. Wir wollen, dass viel mehr Leute eine Dauerfahrkarte haben, wie das in der Schweiz gang und gäbe ist. Wir brauchen einfach einen niedrigschwelligen Zugang, damit mehr Leute die Bahn, die für uns alle da ist, nutzen können.

Ich bitte den Bundestag, auf die Bahn in diesem Sinne freundlich, aber bestimmt Einfluss zu nehmen.
Danke.

(Beifall bei der LINKEN)


Es folgten zwei Interventionen zu Reden anderer MdB:

1. Frau Wilms, ich würde Sie erstens gerne fragen, ob Sie sich darüber im Klaren sind, dass auch die Schweizer Bahn eine Aktiengesellschaft ist.

(Patrick Döring (FDP): Die fährt so viel Weg, wie wir in NRW fahren! Das ist eine kleine Bahn!)

Dort werden sehr wohl konkrete Ziele festgelegt, wie die Bahn entwickelt werden soll.

Zweitens möchte ich fragen, ob Sie wissen, dass die Schweizer Bahn, obwohl sie sehr viel dichter fährt und sehr viel kundenfreundlicher ist - es gibt praktisch keine Bahnhöfe ohne Personal -,

(Patrick Döring (FDP): Sie hat ein Netz von der Größe von Hessen! Das ist nicht vergleichbar!)

insgesamt nur ein Drittel von dem benötigt, was die Deutsche Bahn AG an öffentlichen Zuschüsse braucht. Warum? Das Geheimnis ist: mehr Fahrgäste, mehr Einnahmen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Ihnen klar ist, dass die Schweizer Bahn mit diesem Konzept deutlich besser fährt.

(Florian Pronold (SPD): Vielleicht haben die mehr Geld, weil sie das Steuerabkommen nicht einhalten!)

2. Herr Jarzombek, Sie sprachen von einer Zeit vor der Bahnprivatisierung und einer Zeit nach der Bahnprivatisierung bzw. der Bahnreform, wie Sie es nennen. 1993/1994 war die Zäsur; da haben Sie völlig recht. Ist Ihnen bewusst, dass seit dem Jahr 1994 7000 Kilometer Bahnstrecke in Deutschland stillgelegt worden sind, Tausende Bahnhöfe geschlossen worden sind und die Zahl der Mitarbeiter bei der Bahn etwa halbiert worden ist? Wie bringen Sie das mit Ihrer Vision von einem flächendeckenden Bahnverkehr in Übereinstimmung?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)